Dicker Fisch: Omar Trevino Morales, Chef des berüchtigten Kartells Los Zetas, bei seiner Verhaftung durch mexikanische Sicherheitskräfte Foto: dpa

Spektakuläre Fahndungserfolge im mexikanischen Drogenkrieg täuschen über die Tatsache hinweg, dass die Macht der Kartelle ungebrochen ist. Sie weichen in andere Bereiche aus.

Mexiko-Stadt - Die Fahndungserfolge sind spektakulär. Zuerst ging den mexikanischen Behörden Servando Gómez Martínez ins Netz. Er gehörte zum legendären, pseudoreligiösen Kartell Die Tempelritter, das sich zuletzt auf den Verkauf von synthetischen Drogen, illegalen Bergbau und Schutzgelderpressung spezialisiert hatte. Die Verhaftung gilt als ein entscheidender, vielleicht sogar als der endgültige Schritt zur Zerschlagung des Kartells. Besonders wichtig für Präsident Enrique Peña Nieto, der eine neue Art der Polizeiarbeit versprochen hatte: Bei der unblutigen Festnahme fiel nach Angaben der Behörden kein einziger Schuss.

Nur ein paar Tage später klickten erneut die Handschellen. Diesmal war es Omar Treviño Morales alias Z-42, der den Sicherheitskräften ins sorgsam gestrickte Netz ging. Er gilt als Kopf von Los Zetas, einem der größten und brutalsten Kartelle Mexikos. Die USA jubelten über den Fahndungserfolg ihrer Nachbarn. Mit der Festnahme von Z-42 sei „der letzte gefestigte Anführer der Zetas geschnappt“ worden, erklärte der Ex-Leiter der Auslandsabteilung der US-Drogenfahndungsbehörde DEA, Mike Vigil. Zwei Festnahmen, zwei Erfolge. Doch ob mit den prominenten Fahndungserfolgen tatsächlich ein großer Schritt gegen die mexikanische Drogenmafia gelingt, steht auf einem anderen Blatt.

Nahezu zeitgleich sorgen andere Meldungen von der US-amerikanischen Grenze für Beunruhigung. Allein an einem Wochenende gingen den Fahndern gleich tonnenweise Lieferungen aus Mexiko ins Netz. Rund 22 Tonnen Marihuana und Kokain wurden sichergestellt. Das beweist: Die Kartelle arbeiten trotz aller Festnahmen reibungslos.

Und wieder einmal wurde ein spektakulärer Drogentunnel nach Arizona gefunden, der offenbar schon seit längerem für den Transport von Drogen in die USA diente. Auch sollen Menschenschlepperbanden hier gegen hohe Zahlungen Flüchtlinge illegal über die Grenze geschleust haben. Die voneinander unabhängigen Meldungen zeigen: Trotz prominenter Fahndungserfolge expandieren die Kartelle. Immer mehr Drogen fluten den nordamerikanischen und europäischen Markt.

Sicherheitslage in Mexiko noch undurchsichtiger

Die Verhaftungen von Drogenbossen hat eine Fragmentierung der Kartelle zur Folge. Statt großer, oft schwerfälliger Kartelle übernehmen kleine, effektivere Banden die Macht. Das macht es für die Sicherheitskräfte schwieriger, die Strukturen zu durchschauen und sie aufzudecken. Und für die Kartelle selbst ist es einfacher, personelle Lücken zu schließen. Zugleich wird die Sicherheitslage in Mexiko noch undurchsichtiger. Weil durch die Verhaftungen bestehende Hierarchien durcheinander gewirbelt werden, entstehen Verteilungskämpfe der nachrückenden und rivalisierenden Kartellmitglieder.

Neue Ansätze für die Anti-Drogen-Politik?

Mexiko, die Drogenvertriebszentrale der Welt, erlebt damit ein ähnliches Phänomen wie es Kolumbien, der Kokainproduzent Nummer eins, in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat. Zwar wurden die legendären Kartelle von Pablo Escobar (Medellín-Kartell) und den Rodriguez-Brüdern (Calí-Kartell) zerschlagen, ihre Anführer getötet oder an die USA ausgeliefert, trotzdem ist Kolumbien bis heute Kokainproduzent Nummer eins.

Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos fordert im Gespräch mit den Stuttgarter Nachrichten deshalb eine neuen Ansatz in der Anti-Drogen-Politik: „Ich behaupte, dass wir Kolumbianer relativ erfolgreich waren, weil es uns gelungen ist, die Koka-Plantagen zu reduzieren und die großen Köpfe und großen Mafiabanden aus dem Verkehr zu ziehen. Trotzdem existiert das Problem noch immer. Wir sind immer noch das größte Kokain-Exportland der Welt, und deswegen rege ich an, das Problem mit anderen Augen zu sehen“, sagt Santos.

Kolumbien ist größtes Kokain-Exportland

Süchtige sollen nicht mehr als Kriminelle, sondern als Kranke behandelt werden. „Die Entkriminalisierung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Den er entreißt den großen Mafiabanden, die so viel Gewalt produzieren, diesen saftigen Batzen des Geschäfts, und er schafft Raum, andere Schwerpunkte zu setzen, die effektiver sind als die, welche wir in den letzten 40 Jahren angewandt haben. Denn die Mittel, die wir bislang angewandt haben, haben nicht funktioniert.“ Uruguay versucht bereits einen Schritt in diese Richtung – indem der Staat den Marihuana-Handel selbst zu kontrollieren versucht.

Ohnehin haben sich Mexikos Drogenbanden längst breiter aufgestellt. Der Drogenhandel ist nur noch eine von vielen Einnahmequellen. Von den Tempelrittern ist bekannt, dass sie Schutzgelder von Limonen- und Avocado-Bauern abpressen. Darüber hinaus mischen sie ähnlich wie andere Kartelle im illegalen Bergbau mit. Der Hunger nach seltenen und immer noch teuren Rohstoffen macht den Handel mit Eisenerz, Gold oder anderen Metallen zu einem einträglichen Geschäft.

Zehntausende Flüchtlinge drängen Richtung USA

Die Zetas wiederum, die einst von desertierten Elitesoldaten gegründet wurden, gehören zu den wichtigsten Playern im Menschenhandel. Jeden Monat versuchen Zehntausende Menschen aus dem bettelarmen Mittelamerika in die USA zu gelangen. Innerhalb Mexikos sind diese illegal eingereisten Flüchtlinge dann der Mafia schutzlos ausgeliefert. Mädchen und Frauen enden in der Zwangsprostitution, Männer müssen sich den Banden anschließen. Massaker an mittelamerikanischen Flüchtlingen, die sich weigerten, mit den Kartellen gemeinsame Sache zu machen, erschüttern immer wieder die Region und dienen als Abschreckung.

Ende September hatte der Fall der in Iguala verschleppten 43 Studenten weltweit für Entsetzen gesorgt. Die sterblichen Überreste eines Studenten konnten identifiziert werden. Die restlichen Leichen scheinen unauffindbar. Bislang haben die Behörden 80 Personen verhaftet, unter ihnen 44 Polizisten und als Hauptverdächtigen den Bürgermeister von Iguala und dessen Frau. Aufgeklärt ist der Fall noch immer nicht. Die Familienangehörigen verlangen längst einen Kurswechsel in der Drogenpolitik. Präsident Peña Nieto hat eine Reform des Polizeiapparats versprochen. Sie wird über den Erfolg seiner Präsidentschaft entscheiden.