Kämpften Seite an Seite: Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangegen Mittwoch mit Ministerpräsident Stefan Mappus auf einer Wahlkampfveranstaltung in Ludwigsburg. Foto: dpa

Angela Merkel steht ein innerparteilicher Abwehrkampf bevor - die CDU hat keine Alternative.

Berlin - Blankes Entsetzen in der CDU: Wieder geht eine Landtagswahl verloren. Der Schlag aus dem Südwesten wird eine Diskussion um Angela Merkel anfachen. Vorerst wird sie diese wohl überstehen.

Ein Lob auf die politischen Rituale. Sie geben Schutz. Sie geben selbst dem Entsetzen eine handhabbare Form. Sie sagen, was zu tun ist, wenn nichts mehr zu tun bleibt, als zu sagen, dass alles schiefgelaufen ist. Dass alle Hoffnungen enttäuscht und alle Strategien durchkreuzt wurden.

Stefan Mappus hat sich gestern eindrucksvoll in die lange Riege der ehemaligen Hoffnungsträger der CDU eingereiht. Schmerzlich für die Südwest-Union, aber verheerend für die Bundespartei. Nein, nicht für die Partei. Parteien sind ziemlich abstrakte Gebilde. Verheerend ist die Südwest-Wahl für Angela Merkel. Als Kanzlerin und Parteichefin. Sie steht nun im Feuer. Solange sie der Union Erfolge garantierte, verzieh man ihr, dass die protestantische Frau aus dem Osten nicht gerade dem Urbild eines CDU-Mitglieds entspricht. Doch nun gehen Wahlen verloren - reihenweise: NRW, Hamburg, Baden-Württemberg. Jetzt ist die Zeit des Verzeihens vorbei. Die Christdemokraten sind nicht besonders gut im Verzeihen.

Gut also, dass es Rituale gibt. Sie verschaffen nicht zuletzt eine kleine Atempause. Das üblichste Ritual in der Niederlage geht so: Man stellt auch im größten Debakel das eine oder andere heraus, das vielleicht doch nicht so fürchterlich ist. Man orientiert sich nach vorne und ruft zu Geschlossenheit auf. Diesen Job besorgt gestern Abend Annette Schavan. Natürlich Schavan. Die Merkel-Vertraute. Wie viele gibt es davon eigentlich noch? Sie räumt "schmerzliche Verluste" ein, freut sich aber über das "äußerst positive Ergebnis" der Union in Rheinland-Pfalz. Ach wie schön ist Rheinland-Pfalz. Nur regiert man da nicht und in Baden-Württemberg nicht mehr. Vor allem aber, sagt Schavan, müsse man nun im Bund "gute Arbeit abliefern", alle zusammen und sehr geschlossen.

Machterhalt geht über alles.

So wünscht sich Merkel das. Geschlossen bleiben. Ein frommer Wunsch in unfrommen Zeiten. Da gibt es nämlich noch ein anderes Ritual. Kein angenehmes, wenn man Parteivorsitzende einer Partei ist, die Wahlen verliert. Dann nämlich setzt so sicher wie das Amen in der Kirche die Debatte um den Parteichef ein. Nicht um den Regierungschef, Machterhalt geht über alles. Aber braucht man nicht einen neuen Vorsitzenden, wenn der Erfolg ausbleibt? Diese Debatte muss Merkel abblocken. Das ist ihre Aufgabe in den kommenden Wochen, von denen Steffen Bilger, CDU-Bundestagsabgeordneter und Chef der Jungen Union im Südwesten, annimmt, dass sie "heftig" werden. Hält Merkel stand?

Sie hat einige Argumente auf ihrer Seite, vor allem aber die Macht des Faktischen. Wo sind denn die Konkurrenten für den Parteivorsitz? Christian Wulff, Roland Koch, Stefan Mappus - alle irgendwie weg. Norbert Röttgen? Muss erst in NRW Land gewinnen. Ursula von der Leyen - nicht gerade Repräsentantin der Parteimitte.

Bilger weist auf einen inhaltlichen Punkt hin. "Wir im Südwesten können ihr nichts vorwerfen. Das, was uns gestört hatte, hat sie doch geändert." Stimmt. Merkel hat sich rückhaltlos zu Stuttgart 21 bekannt. Sie hat zuletzt das "Christliche" in ihren Reden wieder auffällig betont und "Multikulti" eine krachende Abfuhr erteilt. Alles, wonach sich die Konservativen in der Union so sehr sehnten. Und? Hat es geholfen? Jens Spahn, einer der angesehenen Kräfte unter den jüngeren Bundestagabgeordneten der Union, merkt dazu Folgendes an: "Mappus war doch der profilierteste Vertreter der Konservativen. Er hat Merkel gedankt, ihre Atompolitik ausdrücklich verteidigt und die Verantwortung für das Wahlergebnis übernommen." Spahns Folgerung: "Da wäre doch eine neue, von den Konservativen angestoßene Richtungsdebatte unlogisch." 

Die Fraktion ist sauer.

Auch Wolfgang Bosbach rät ab. Er gehört nicht zu denen, die Merkel immer und überall in Schutz nehmen. Gerade deshalb hat sein Wort Gewicht. Er sieht es so: "Sagen Bundeskanzlerin und Vorsitzender dasselbe, kann man die Personalunion ja gleich beibehalten. Sagen sie Unterschiedliches, wäre es schlecht für die Partei." Die Konsequenz ist klar: Da lässt man lieber alles beim Alten.

Sieht also so aus, als könnte Merkel die kommenden Wochen auch als Vorsitzende überstehen. Was aber absolut nicht heißt, dass sie angenehm werden. Die Forderungen werden schon gestellt. Jens Spahn attestiert der Koalition: "Der schwarz-gelbe Faden fehlt." Es sei der Eindruck entstanden, es werde "nach Tageslage regiert". Wolfgang Bosbach fügt an, nun sei die Zeit hoffentlich vorbei, da der Fraktion Entscheidungen als "alternativlos" vorgesetzt würden. Nun müsse immer gefragt werden, was eine Entscheidung "für die Grundüberzeugungen der Partei bedeutet".

Merkel muss also viel stärker als bisher den Konsens in der Partei suchen. Das könnte ein großes Problem werden, weil es diesen Konsens vielleicht gar nicht mehr gibt. Was es gibt, ist allgegenwärtige Unzufriedenheit. Der Wirtschaftsflügel hält nichts von der rasanten Abkehr von der Kernenergie. Die Außenpolitiker beklagen die neue Isolation Deutschlands. Die Fraktion ist sauer, dass nun eine Ethik-Kommission daherkommt, um den gewählten Abgeordneten den künftigen Energiekurs vorzuschreiben.

Auf all das muss Merkel reagieren. Und das bei immer enger werdendem Spielraum. Die Mehrheit im Bundesrat ist nun in so weite Ferne gerückt, dass sie wohl in der gesamten Legislaturperiode nicht mehr wiederkommt. Also muss auch noch die SPD irgendwie bei Laune gehalten werden. Dabei sind die Sozialdemokraten doch wieder voller rot-grüner Hoffnungen.

Überhaupt - die Grünen. Die sind das nächste Problem. Wie klug war es eigentlich, dass die Kanzlerin schwarz-grüne Koalitionen als "Hirngespinste" abqualifizierte? Kann es sich die Union leisten, eine erstarkende, durchaus in großen Teilen bürgerliche Kraft durch ruppige Rhetorik unnötig fest an die SPD zu ketten? Zumal der angestammte Partner FDP sich nun wohl erst einmal eine Auszeit für einen längeren Selbstfindungsprozess nehmen wird. Und wenn er sich dabei nicht findet? Dann braucht die Union eine Antwort, die mehr ist als ein Hirngespinst.

Erst mal Zeit gewinnen. Hermann Gröhe, der CDU-Generalsekretär, macht vor, wie das geht. Er weist auf die Gewinne der CDU in Rheinland-Pfalz hin. Das zeigt doch: Es liegt gar nicht an Merkel. Auch mit ihr kann man gewinnen. Also war Baden-Württemberg eben doch nur ein regionales Ereignis. Mappus eben. So sagt Gröhe es nicht. Aber er meint es. Die Rolle als Blitzableiter darf Stefan Mappus noch spielen. Eine Art letzter Dienst. Heute erst geht die Kanzlerin an die Öffentlichkeit. Auch das ein festes Ritual. Vermutlich Seit an Seit mit Julia Klöckner. Die ist nun das, was Mappus einmal war - Hoffnungsträger. Das war auch Merkel einmal. Irgendwie ist sie es noch immer. Sonst ist niemand da. Merkel - die Trägerin der letzten Hoffnung.