Die Auswahl von Bewerbern ist nur eines von vielen möglichen Einsatzgebieten für KI-basierte Software. Foto: dpa/Jens Schierenbeck

Auch in Deutschland nutzen immer mehr Unternehmen Künstliche Intelligenz. Bei einer Podiumsdiskussion in Stuttgart haben Experten über Möglichkeiten, Konsequenzen und ethische Fragen diskutiert. Ein Bereich verdient dabei nach ihrer Einschätzung besondere Aufmerksamkeit.

Welche Mitarbeiterin oder welcher Mitarbeiter wird wohl als Nächstes kündigen? Die Antwort auf diese Frage dürfte so manchen Personalchef interessieren. Wenn die betreffende Person gute Arbeit leistet, könnte er versuchen, sie durch mehr Geld oder eine Beförderung umzustimmen. Andernfalls könnte er sicherheitshalber schon mal mit der Suche nach möglichen Nachfolgern beginnen. Der IT-Gigant IBM stellte bereits 2019 eine Software vor, die mittels Künstlicher Intelligenz (KI) die individuelle Kündigungswahrscheinlichkeit vorhersagen soll. Wie viele Unternehmen diese Möglichkeit nutzen, lässt sich indes kaum eruieren.

Tatsächlich sehen Experten auch im Personalwesen – Neudeutsch: Human Ressources (HR) – viele Einsatzmöglichkeiten für KI-basierte Software. Sie kann bei der Formulierung von Stellenausschreibungen, der Auswahl vielversprechender Bewerber oder der Mitarbeiterbindung helfen. Deutsche Unternehmen sind mit Blick auf KI im Personalwesen allerdings noch recht zurückhaltend. Laut einer Umfrage des Ifo-Instituts setzen erst fünf Prozent der Firmen in diesem Bereich auf KI. Zugleich denkt aber rund ein Viertel über die Nutzung solcher Programme nach.

Vorurteile in Algorithmen

Im KI-gestützten Personalmanagement realisiere sich der „feuchte Traum vieler Chefs“, meint Michael Kramarsch, Partner bei der Personalberatung HKP Group. Immerhin eröffneten sich so neue Möglichkeiten, die Potenziale von Beschäftigten zu erkennen, ihre Leistungen zu erfassen und zu bewerten – mit viel geringerem Aufwand.

Bei einer Podiumsdiskussion des Steinbeis-Transfer-Instituts in Stuttgart wies Kramarsch kürzlich aber auch auf mögliche Probleme hin – etwa auf die bekannte Tatsache, dass sich in den Algorithmen einer KI oft die Vorurteile derjenigen niederschlagen, die sie entwickelt haben. Auch die Trainingsdaten hätten einen großen Einfluss: „Wenn eine Software gelernt hat, dass es bei Dax-Unternehmen bis jetzt praktisch keine weiblichen Vorstandschefs gegeben hat, wird sie auch bei einer Neubesetzung kaum eine Frau für eine solche Position vorschlagen.“

Von zentraler Bedeutung sei, dass am Ende immer noch Menschen die Entscheidungen träfen. Allerdings gibt Kramarsch zu Bedenken, dass beispielsweise schon die Vorauswahl vielversprechender Bewerber durch eine KI das Urteil der Personalverantwortlichen beeinflussen könnte. Der Berater spricht von einer „hohen Bindungswirkung“. Angesichts dieser und anderer Unzulänglichkeiten hat der Ethikbeirat HR Tech, dem auch Kramarsch angehört, Richtlinien für den „verantwortungsvollen Einsatz von KI und weiteren digitalen Technologien in der Personalarbeit“ entwickelt. Das Gremium, dem unter anderem Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Personalwesen und Gewerkschaften angehören, fordert etwa, dass nachvollziehbar sein muss, wie und auf welcher Datengrundlage KI-Systeme zu ihren Ergebnissen kommen. Das ist ein anspruchsvolles Ziel. Bislang können oft nicht mal die Entwickler genau sagen, warum eine KI nun diese oder jene Entscheidung getroffen hat.

Beschäftigte beteiligen

Wichtig ist dem HR Ethikbeirat zudem, dass es bei der Einführung von KI im Personalbereich transparent zugeht und Beschäftigte angemessen beteiligt werden Das sei Voraussetzung für die Akzeptanz. Zudem müssten arbeits- und datenschutzrechtliche Vorgaben beachtet werden. Explizit erwähnt werden auch die Vermeidung von Diskriminierungen und die „Letztentscheidungsbefugnis einer natürlichen Person“.

Nicht ganz so viele ethische Fallstricke birgt nach Ansicht der Diskussionsteilnehmer der Einsatz von KI in anderen Unternehmensbereichen. Joachim Warschat nennt als Beispiel die maschinelle Auswertung von Patentschriften oder die Übersetzung von Fachartikeln in verständliche Sprache mit Hilfe sogenannter Large Language Models à la ChatGPT. Ein Wachstumsfeld sei auch der Einsatz von KI-Systemen zur automatischen Steuerung und Optimierung von Maschinen und Produktionsanlagen, so der Direktor des Steinbeis Instituts Management Education und frühere Chef des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation.

Sorgenkind Mittelstand

Allerdings tun sich deutsche Unternehmen nach Ansicht von Gerald Lembke generell schwerer mit der Nutzung von KI und anderen digitalen Technologien als die Konkurrenz aus den USA oder Asien. „Besonders gering ist das Interesse im Mittelstand“, so der Leiter des Studiengangs Digitale Medien an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. „Da stellt dann ein Manager, der selber keine große Ahnung vom Thema hat, einen jungen Bachelor ohne Berufserfahrung ein und meint, dass das reicht.“ Die Unternehmen bräuchten mehr Mut zur Veränderung – sie sollten „denken wie Forscher“ und Dinge einfach mal ausprobieren.

Ähnlich sieht es Warschat. Für Deutschland und Europa werde es sehr schwer werden, den Rückstand bei den KI-Basistechnologien wieder aufzuholen, meint der Professor. „Aber bei der Ethik, da seid ihr gut“, habe ihm ein Kollege aus den USA kürzlich gesagt. Auch Kramarsch sieht die Chance, dass Europa maßgeblich zu einem fairen und verantwortlichen Umgang mit dem Werkzeug KI beitragen kann. „Ob sich das allerdings zu einem Exportschlager entwickeln wird, weiß ich auch nicht“, so der HKP-Partner.

Künstliche Intelligenz in Unternehmen

Definition
  Künstliche Intelligenz (KI) ahmt mittels Software menschliches Denken und Lernen nach. Dazu werden verschiedene Strategien genutzt. Beim maschinellen Lernen geht es etwa darum, in großen Datenmengen Muster zu erkennen. Ziel ist die automatisierte Lösung ähnlich gelagerter Aufgaben. Basis vieler KI-Anwendungen sind neuronale Netzwerke, deren Aufbau sich an der Verknüpfung von Nervenzellen orientiert. Generative KI zur Erstellung von Texten, Bildern oder Software beruht auf besonders leistungsstarken „tiefen“ neuronalen Netzen. 

Verbreitung
 Laut einer im September publizierten Umfrage des Digitalverbandes Bitkom nutzen 15 Prozent der deutschen Unternehmen KI (Vorjahr: neun Prozent). Insbesondere bei allem, was mit Sprache zu tun hat, sehen die Befragten ein großes Potenzial: Textanalyse, Spracherkennung, Texterstellung. Dazu dürfte auch der Hype um ChatGPT beigetragen haben. Weitere wichtige Einsatzgebiete seien Bild-, Gesichts- und Mustererkennung.