Ist Deutschland ausreichend auf die sicherheitspolitischen Bedrohungen der kommenden Jahre vorbereitet? Foto: imago/Christoph Hardt

Trotz Zeitenwende ist Deutschland längst noch nicht auf die Bedrohungen der kommenden Jahre vorbereitet. An einer Wehrpflicht führt daher wohl kaum ein Weg vorbei, meint Hauptstadtkorrespondent Tobias Heimbach.

Russlands Überfall auf die Ukraine hat zahlreiche Gewissheiten der vergangenen Jahrzehnte pulverisiert. Was vor Kurzem noch undenkbar schien, ist nun leider bittere Realität: Es gibt einen heißen Krieg zwischen zwei Staaten in Europa. Sogar das Schreckgespenst einer nuklearen Auseinandersetzung ist zurückgekehrt. Hier in Deutschland hat dies zu einem Umdenken geführt, und man hat sich von vertrauten Glaubenssätzen verabschiedet.

Inzwischen liefert Deutschland Waffen in ein Kriegsgebiet und hat sich einer umfangreichen Aufrüstung verschrieben. Ist Deutschland trotzdem ausreichend auf die sicherheitspolitischen Bedrohungen der kommenden Jahre vorbereitet? Nein.

Das liegt auch daran, dass der Bundeswehr fehlt, was man auch nicht mit drei Sondervermögen kaufen kann: Soldatinnen und Soldaten. Ohne ausreichend Personal können die deutschen Streitkräfte nicht wehrhaft oder gar „kriegstüchtig“ werden. Doch die äußere Sicherheit zu garantieren gehört zu den Grundfunktionen des Staates. Daher führt wohl kein Weg an einer neuen Wehrpflicht vorbei.

Idee ist fremd geworden

Das erfordert ein Umdenken. Denn nicht nur wer heute 18 Jahre alt ist, hat sich zum Glück daran gewöhnt, sein Leben und seinen Tag selbstbestimmt zu gestalten. Die Idee einer Wehrpflicht ist uns fremd geworden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fand dazu passende Worte beim Staatsakt zur Verkündung des Grundgesetzes vor 75 Jahren. „Unsere Demokratie ist wehrhaft“, sagte er in Berlin. Und weiter: Was man jetzt brauche, seien Bürgerinnen und Bürger, die nicht sagen ‚Was kümmert mich das?‘, sondern die sagen: ‚Ich kümmere mich.‘ Das lässt sich durchaus auf die Wehrpflicht übertragen.

Denn der Staat ist nicht nur ein Dienstleister, der Kinder- und Bürgergeld überweist, der einem freie Schul- und Universitätsbildung ermöglicht. Oder über den man sich gelegentlich ärgert, weil er bei der Digitalisierung hinterherhinkt oder einen mit kleinlichen Steuervorgaben nervt. Auch wenn es pathetisch klingt: aber der Staat, das sind wir alle.

Wenn sich in der gegenwärtigen Lage nicht freiwillig genug Menschen finden, für seine Sicherheit zu sorgen, dann muss der Staat andere Wege gehen. Die Wehrpflicht ist dazu das richtige Mittel. Demokratische Staaten haben es zu allen Zeiten genutzt.

Entscheidend ist: Ein solcher Dienst muss zügig umsetzbar, rechtssicher sein und der Bundeswehr tatsächlich nutzen. Daher spricht viel für die Einführung einer Wehrpflicht nach schwedischem Vorbild. Nicht ein ganzer Jahrgang müsste damit Dienst tun, sondern nur ein Teil davon.

Positive Nebeneffekte

Die Wehrpflicht in Deutschland hätte auch positive Nebeneffekte. Die Bundeswehr könnte damit zumindest einen Teil ihrer Personalprobleme lösen. Denn im Anschluss an den Grundwehrdienst dürften sich sicher mehr Menschen für eine Karriere als Soldat entscheiden. Auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wäre eine Wehrpflicht förderlich: Wo sonst würden der Apothekersohn aus der Provinz und der Fliesenlegerauszubildende aus der Großstadt zusammentreffen?

Doch vor allem geht um handfeste Sicherheitspolitik im Sinne einer Gesamtverteidigung. Es geht um Abschreckung gegen weitere Aggressionen Russlands.

Im Juni wird Verteidigungsminister Pistorius (SPD) wohl seine Pläne für eine neue Wehrpflicht vorstellen. Unterstützung dafür hat er weder in der Koalition noch vom Kanzler. Umfragen zeigen jedoch, dass eine Mehrheit der Deutschen eine Wiedereinführung befürwortet. Vielleicht lässt sich aus dieser Mehrheit ja doch Politik machen.