Pflegt eine klare Sprache: Nahles. Foto: dpa

„Ab morgen kriegen sie in die Fresse“ – der Spruch der künftigen Oppositionsführerin wird aus dem Kontext gerissen und wohl auch bewusst missverstanden, kommentiert Politikredakteur Willi Reiners.

Berlin - Andrea Nahles stammt aus der Eifel, einem rauen Mittelgebirgszug tief im deutschen Westen. Die Menschen dort pflegen ein klare, direkte Sprache. Das ist gut zu wissen, wenn man Nahles Spruch einordnen möchte, über den es jetzt so viel Aufregung gibt.

Sie sei ein bisschen wehmütig, sagte die SPD-Frau, als sie sich am Mittwoch von ihren Ministerkollegen im Bundeskabinett verabschiedete. Dann fügte sie hinzu: „Aber morgen kriegen sie in die Fresse.“ Die anwesenden Noch-Bundesminister von CDU und CSU hätten gelacht und den Spaß verstanden, versichert die gewesene Arbeitsministerin, die künftig an der Spitze der SPD-Bundestagsfraktion steht und damit in die oppositionelle Abteilung Attacke wechselt. Es sei halt ein Scherz gewesen, wie man ihn unter langjährigen Kollegen macht.

Es gibt bisher keinen Grund, an dieser Darstellung zu zweifeln. Bisher regen sich nämlich nur Personen über Nahles’ Spruch auf, die nicht im Kabinett anwesend waren, darunter Politiker der Union, aber vor allem auch ganz normale User sozialer Medien. Es scheint fraglich, ob sie sich auch echauffiert hätten, wenn ihnen der Kontext der Äußerung bekannt gewesen wäre.

Bei der AfD wird gern mit zweierlei Maß gemessen

Kontext – das ist ein gutes Stichwort. Es gibt aktuell eine gewisse Empfindlichkeit mit Blick auf derbe Politikeräußerungen. In diesem Zusammenhang muss man wohl auch die Aufregung um Nahles einordnen. Da ist natürlich Donald Trump, und da ist die AfD. Als deren Spitzenkandidat Alexander Gauland auf dem Höhepunkt des Wahlkampfs vorschlug, man solle die Integrationsbeauftragte des Bundes in Anatolien entsorgen, war die Aufregung riesengroß.

Die Äußerung sei roh und unmenschlich, hieß es allenthalben. Fleißige AfD-Mitarbeiter durchforsteten daraufhin die Archive und förderten zahlreiche Zitate von Vertretern anderer Parteien zu Tage, die dem politischen Gegner ebenfalls eine Entsorgung anempfahlen. Wenn die Vokabel aber im politischen Infight also durchaus gut eingeführt zu sein scheint – warum dann die Empörung über Gauland? Da kann man schon den Eindruck haben, dass bisweilen mit zweierlei Maß gemessen wird.

Politik braucht Zuspitzung. Zum Beispiel, um unterschiedliche Positionen unmissverständlich klar zu machen. Dabei darf es auch schon mal derb zugehen. Die politische Arena ist eben kein Ponyhof, das muss jeder wissen, der sich dort bewegt. Oder der glaubt, das politische Geschehen in sozialen Netzwerken kommentieren zu müssen.