Samsung Safety Truckim Einsatz: Ein Bildschirm auf der hinteren Tür zeigt den entgegenkommenden Verkehr an Foto: Foto: Samsung

Dashcams sind in Deutschland rechtlich umstritten. Dabei lassen sich die kleinen Auto-Kameras längst nicht nur als Beweismittel oder für alberne Spaß-Videos nutzen.

Köln - Beim Blick auf die Tankanzeige wurde Ingo Thomas zum ersten Mal stutzig. „Als mein Auto aus der Werkstatt zurückkam, war kaum noch Benzin drin“, erinnert sich der Zahntechnikmeister aus Köln. Dabei hatte er vor dem Termin extra vollgetankt – kann ja sein, dass eine Probefahrt nötig wird. In diesem Fall ließ der Kilometerstand erahnen, dass das Personal mehr als nur eine Runde um den Block gedreht hatte. „Die sind mit meinem Auto durch die ganze Stadt gerast“, schimpft Thomas. Über 500 Kilometer habe ein Mechaniker in seinem Sportwagen zurückgelegt – „volle Pulle, mit aufheulendem Motor und sogar über rote Ampeln“.

Dass alles hat ihm die Tankanzeige natürlich nicht verraten. Zu verdanken hat er seine Entdeckung einer sogenannten Dashcam. Die Minikameras werden an der Windschutzscheibe oder am Armaturenbrett (englisch: dashboard) befestigt, damit sie jede Fahrt filmen können. „Bei mir läuft die immer“, sagt Thomas, der sich die Blackbox vor anderthalb Jahren angeschafft hat. Die hundert Euro, die er für das Gerät investiert hat, hätten sich längst ausgezahlt: „Nachdem ich dem Werkstatt-Chef das Video gezeigt hatte, hat er mir die Kosten sofort erstattet. Ihm war die Sache total unangenehm.“ Die Mitarbeiter mit dem Bleifuß konnten sich nicht herausreden, denn neben dem Bewegtbild speichert Thomas‘ Dashcam auch die GPS-Koordinaten und den Ton im Innenraum. „Die haben mit meinem Auto richtig angegeben.“ Sogar ein Kumpel des Monteurs durfte zwischenzeitlich ans Steuer.

Bei einer anderen Gelegenheit hat sich die Kamera ebenfalls als nützlich erwiesen. „Ich konnte mal einer Radfahrerin helfen, die angefahren wurde“, erzählt Thomas. Zunächst habe sich der Unfallverursacher herausreden wollen – wäre da nicht die Dashcam gewesen: „Ich bin ausgestiegen und habe gesagt, dass alles auf Band ist. Man konnte genau sehen, wie der Autofahrer die Kurve geschnitten hat.“ Mit einem Mal sei der Delinquent einsichtig geworden. „Ist doch ein tolles Beweismittel“, lobt Thomas.

Heimlich andere Autofahrer zu filmen kann sehr teuer werden

Doch ist sie das wirklich? Der Streit darüber, ob die Aufnahmen von Dashcams rechtlich zulässig sind, ist fast so alt wie die Technik selbst. Umstritten sind Dashcams vor allem deshalb, weil sie mit dem Datenschutz kollidieren. Schließlich hegen bei weitem nicht alle Nutzer hehre Motive. Manche filmen munter drauflos, lästern über andere Verkehrsteilnehmer, erfassen ihre Nummernschilder und stellen das Material ins Internet.

In vielen EU-Ländern ist das legal, in Deutschland verstößt die Praxis gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Schließlich kann sich niemand dagegen wehren, heimlich gefilmt zu werden. Der ADAC warnt daher: „Wer mit der Dashcam Verstöße anderer aufnehmen und zur Anzeige bringen will, verstößt in den allermeisten Fällen gegen geltendes Recht.“ Filmen dürfe allenfalls die Polizei – und auch das nur in einem engen Rahmen.

Selbst innerhalb Deutschlands wird die Sache unterschiedlich gehandhabt. Als in Berlin im Oktober 2014 ein Geldtransporter überfallen wird, nutzt die Polizei ein Dashcam-Video zur Fahndung. In Bayern hingegen warnt das Landesamt für Datenschutz, es werde in Zukunft gegen jeden vorgehen, der Aufnahmen weitergibt – sei es an die Polizei, an Versicherungen oder an Videoplattformen. Bis zu 300 000 Euro Bußgeld stehen im Raum.

Allein 2014 wurden in Deutschland rund 79 000 Dashcams verkauft

Die Versicherungsbranche ist daher vorsichtig. Auf Anfrage gibt sich eine Sprecherin des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zunächst auskunftsfreudig. Manche Versicherer, sagt sie, griffen bei der Schadensregulierung durchaus auf Dashcam-Videos zurück. Später korrigiert sie sich, beteuert, das Thema „spiele bisher keine Rolle“. Und wenn es doch mal eine Aufnahme gibt, wird sie dann benutzt oder nicht? Die Sprecherin schweigt. Dann sagt sie: „Das ist eine Einzelfallentscheidung.“

Viele Autofahrer sind weniger zögerlich. Die Gesellschaft für Konsumforschung hat ermittelt, dass im vergangenen Jahr knapp 79 000 Dashcams in Deutschland verkauft wurden. 2013 waren es rund 72 400. Zum Einsatz kommen die Geräte für ganz unterschiedliche Zwecke. So mancher Hobbyfilmer will einfach nur eine schöne Landschaft dokumentieren. Taxifahrer richten die Geräte gerne mal nach innen, um sich vor Pöbeleien und Überfällen zu schützen. Offiziell dementieren die Taxiverbände solche Maßnahmen zwar; in Internetforen tauschen sich die Fahrer aber regelmäßig über das Für und Wider der Technik aus.

Und zuletzt: Spaß-videos. Wer im Netz beispielsweise nach „German Road Stories“ sucht, findet ein ganzes Archiv mit Dränglern, Rasern und Parksündern – immerhin sind die Nummernschilder gepixelt.

Sicher überholen: Technikkonzern testet Dashcams auf argentinischen Landstraßen

Dabei gibt es für Dashcams längst Anwendungsgebiete, die mit Voyeurismus und Denunziantentum nichts zu tun haben. An der Universität Politècnica de Valencia haben Wissenschaftler ein System entwickelt, das Überholmanöver sicherer machen soll. Beim Projekt „Eyes“ überträgt eine Frontkamera ihre Aufnahmen auf die Bildschirme nachfolgender Autos. In einer Kolonne wird das erste Fahrzeug also zum „Auge“, weil es den Blick auf die Gegenfahrbahn ermöglicht. „Wir testen das System zurzeit mit unseren eigenen Autos“, sagt Juan Carlos Cano, Informatikprofessor und Entwickler von Eyes. Die Ergebnisse seien vielversprechend: Der Autohersteller Ford und der Zulieferer Magna Mirrors hätten bereits Interesse angekündigt. „In zwei bis drei Jahren könnten wir Serienreife erlangen.“

Der Technikkonzern Samsung prescht derweil mit einer eigenen Erfindung vor. Er hat Bildschirme an den Türen von Lkw-Anhängern installiert, damit nachfolgende Autos einen freien Blick nach vorne haben. Der „Samsung Safety Truck“ ging als virales Video durchs Internet – und war offenbar mehr als nur ein PR-Gag. In Argentinien, wo besonders viele Landstraßen einspurig verlaufen, will der Konzern den Einsatz der Dashcams forcieren. „Wir prüfen einen landesweiten Einsatz bei Lastwagen, die Samsung-Produkte transportieren“, sagt eine Sprecherin.

Mit Beweismitteln oder Spaßvideos hat das nichts mehr zu tun – wohl aber mit einer höheren Sicherheit im Straßenverkehr.