Manche Menschen haben sich auch nach über zwei Jahren Pandemie noch nicht wissentlich mit dem Coronavirus angesteckt. (Symbolfoto) Foto: Lichtgut/Julian Rettig

In der Omikron-Welle haben sich nachweislich Millionen Menschen in Deutschland mit Sars-CoV-2 angesteckt. Manche Menschen hatten aber bisher noch nie ein positives Testergebnis. Woran kann das liegen?

Corona trifft (gefühlt) alle: Freunde, deren und die eigenen Kinder, Großeltern, Arbeitskollegen. Wer bisher von dem mutationsfreudigen Virus verschont geblieben ist, kann mit ziemlicher Gewissheit darauf warten, dass er sich auch infiziert.

Und doch: Manche haben selbst in der sich seit Monaten ausbreitenden Omikron-Welle standgehalten und sich in der seit über zwei Jahren wütenden Pandemie immer noch nicht wissentlich mit Sars-CoV-2 angesteckt. Geht das überhaupt? Alles purer Zufall oder ist das wissenschaftlich erklärbar?

Kombination verschiedener Umstände

Eine definitive Antwort, die Nicht-Ansteckungen erklärt, gebe es nicht, sagt der Essener Virologe Ulf Dittmer, der das Institut für Virologie des Universitätsklinikums Essen leitet. Vielmehr könne der Schlüssel in einer Kombination verschiedener Umstände wie vorübergehende Effekte, genetischer Faktoren oder Zufälle liegen. „Es gibt einige Hypothesen, die plausibel erscheinen“, ergänzt Leif Sander, der die Klinik für Infektiologie an der Berliner Charité leitet.

Unbemerkter Krankheitsverlauf

Ein Grund für eine scheinbare Nicht-Erkrankung ist, dass ein gar nicht mal kleiner Teil der Fälle weitgehend oder völlig unbemerkt verläuft. In einer Studie von Ende 2021 im Fachmagazin „Jama Open Network“ bilanzierten die Autoren, dass sogar bei bestätigten Corona-Infizierten rund 40 Prozent zum Testzeitpunkt keine Krankheitsanzeichen hatten. Grundlage waren knapp 100 verschiedene, internationale Studien mit Daten von insgesamt rund 30 Millionen Menschen.

Eine Studie aus den USA, die im November 2021 im Fachmagazin „Nature“ erschien, ist zu ähnlichen Ergebnissen gekommen.

Häufigkeit von Tests

Die Testhäufigkeit spielt also eine Rolle beim Erkennen von Infektionen. Wer sich eher unregelmäßig testen lässt, hat eine höhere Wahrscheinlichkeit, eine sehr milde oder asymptomatische Infektionen zu übersehen. Bei häufigen Tests spürt man eher auch milde Fälle auf.

Genetische Veranlagung und Immunsystem

Abgesehen davon können auch die Gene eine Rolle spielen. „Es gibt Menschen, die aufgrund genetischer Merkmale zum Beispiel schlecht mit Malaria oder HIV infiziert werden können. In gewissen Abstufungen wird es das auch bei Sars-CoV-2 geben“, erläutert Leif Sander.

Bei der genetischen Disposition spielt die Ausstattung des Immunsystems mit Erbanlagen – die sogenannten HLA-Moleküle (HLA steht für Humanes Leukozytenantigen-System) – für den Schutz vor Covid-19 eine wichtige Rolle, wie der Stammzellenforscher Johannes Schetelig von der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden herausgefunden hat.

Das wird auch durch eine Studie bestätigt, die im Mai 2020 im Fachmagazin „National Library of Medicine“ erschienen ist.

Einfluss der HLA-Moleküle

Humane Leukozytenantigene (HLA)-Moleküle sind eine Gruppe menschlicher Gene, die für die Funktion des Immunsystems zentral sind. Wie das Immunsystem auf die Konfrontation mit einem Virus reagiert, ist individuell.

Eine wichtige Rolle spielt dabei eben dieses HLA-System. Aber auch Blutgruppen beeinflussen die Schwere der Erkrankung und möglicherweise auch die Übertragung von Sars-CoV-2.

Bedeutung des Impfschutzes

Nicht zu vergessen der Faktor Impfschutz: Die Spiegel der Antikörper im Blut, die in den Körper eindringende Coronaviren unschädlich machen können, sinken in der Zeit nach der Impfung zwar ab. „Der Schutz bleibt aber trotzdem über Monate signifikant. Auch das reduziert immer noch Ansteckungen“, sagt Experte Sander.

Spezielle Antikörper

Immunantworten auf die Impfung unterscheiden sich darüber hinaus von Mensch zu Mensch. „Wenn die Antwort besonders gut ausfällt, kann auch die Kombination aus Impfung und einer vorherigen Infektion mit einem der vier normalen Erkältungscoronaviren eine Rolle spielen“, gibt der Charité-Professor zu bedenken.

Nach Aussage von Ulf Dittmer vermittelt besondere Subklasse von Antikörpern einen guten Schutz gegen eine Corona-Infektion. So können Kinder ein stärker aktiviertes angeborenes Immunsystem haben.

Schützende Abwehrstoffe

Zudem gebe es den Effekt, dass Menschen direkt nach einem Infekt für ein paar Tage generell weniger empfänglich sind für den nächsten lauernden Erreger. „Das liegt unter anderem an den sogenannten Interferonen – besonderen Abwehrstoffen in der Schleimhaut, die im Fall eines Kontakts in dem Zeitfenster auch die Empfänglichkeit für Sars-CoV-2 reduzieren.“

Starkes Immunsystem

Und es gibt noch einen weiteren Grund, auf den Leif Sander hinweist: Bei manchen Menschen eliminiert das Immunsystem das Virus womöglich sehr schnell.

„In einer schwedischen Studie (die Studie, auf die sich der Berliner Virologe bezieht, ist im Fachmagazin „ASM Journals“ im Juli 2022 erschienen, A. d. Red.) haben Forscher bei Menschen, die nach Kontakten zu infizierten Haushaltsmitgliedern nicht positiv geworden sind, spezifische T-Zellen gefunden. Ein Zeichen, dass sich deren Immunsystem durchaus mit Sars-CoV-2 auseinandergesetzt hat, auch wenn eine Infektion und auch Antikörper gegen das Virus nicht immer nachweisbar waren.“

Fazit

Wer glaubt, bisher verschont geblieben zu sein, könnte die Infektion doch schon hinter sich haben. Oder von bestimmten vorübergehenden Effekten, genetischen Faktoren oder Zufällen profitiert haben.

„Dass man Corona bisher nicht hatte, heißt nicht, dass man für alle Zeit sicher ist“, sagt Leif Sander. „Das kann schon mit einer neuen Virusvariante oder situationsabhängig ganz anders aussehen.“