Ein Einwohner von Changchun beim Coronaabstrich Foto: AFP/STR

Das Land reagiert auf die höchsten Infektionszahlen seit Wuhan mit strenger Isolation. Die Mega-Metropole Shanghai kann eine vollständige Abriegelung noch verhindern.

Keine zwei Stunden, nachdem Premierminister Li Keqiang beim Nationalen Volksprozess in Peking die „anhaltende Öffnungspolitik“ Chinas preist, schließt tausend Kilometer nordöstlich die Neun-Millionen-Metropole Changchun ihre Pforten: Alle Einwohner werden in ihre Wohnungen eingesperrt, nur eine Person pro Haushalt kann sich für Lebensmittelkäufe alle zwei Tage registrieren.

Während große Teile der Welt mit dem Coronavirus leben lernen, hält die Volksrepublik auch im dritten Jahr der Pandemie an ihrer Nulltoleranz-Strategie fest. Dass der am Freitag beschlossene Lockdown wohl nicht der letzte sein wird, steht außer Frage. Denn seit mehreren Tagen bereits vermeldet die nationale Gesundheitskommission die höchsten Infektionszahlen seit Abflachen der ersten Welle in Wuhan. Zuletzt waren es mehr als 1370 Ansteckungen in 17 der insgesamt 31 chinesischen Provinzen.

Das Ziel heißt „Null Covid“

Das ist im internationalen Vergleich verschwindend gering, allein in Südkorea werden derzeit rund 300 000 Infektionen pro Tag gemeldet. Doch aufgrund des politisch vorgegebenen „Null Covid“ erfordert in China jeder einzelne Coronafall rasche und strenge Maßnahmen. Mit jeder Virusvariante werden diese extremer.

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Erstmals ist auch die für ihre vergleichsweise liberale und pragmatische Pandemie-Strategie bekannte Wirtschaftsmetropole Shanghai stark betroffen. Die Kinos und Museen der Stadt haben umgehend dichtgemacht, Schulen stellen ihren Unterricht wieder auf Online-Präsenz um. Internationale Flüge sollen für die kommenden sechs Wochen auf andere Städte umgeleitet werden, und laut bisher unbestätigten Videos auf sozialen Medien errichten die Behörden auf der Formel 1-Strecke derzeit Feldspitäler.

Auch in Shanghai ist das Leben stark eingeschränkt

Angesichts der kaufstarken Bevölkerung und den vielen internationalen Firmen will es die Regierung vermeiden, einen flächendeckenden Lockdown tatsächlich anzuwenden. Dieser hätte hier ungleich stärkere ökonomische Folgen als in den Provinzen.

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Doch der Alltag innerhalb Shanghais ist bereits jetzt stark eingeschränkt: Da die meisten Arbeitgeber und auch Wohnanlagen auf verpflichtende PCR-Tests pochen, bildeten sich an den unzähligen Testzentren Menschenschlangen von mehreren Hundert Metern. Einige Anwohner berichten von Wartezeiten von mehr als vier Stunden.

Regierung fürchtet hohe Todeszahlen

Auch wenn China als einer der wenigen großen Länder das Coronavirus früh und vollständig unter Kontrolle bringen konnte, fehlt eine Exit-Strategie. Eine Öffnung der Landesgrenzen sowie eine Lockerung der Lockdown-Politik verschiebt die Regierung immer wieder, denn sie fürchtet hohe Todeszahlen. Zum einen ist das Gesundheitssystem in vielen ländlichen Gegenden schwach, zum anderen ist die Bevölkerung ausschließlich mit schlecht wirksamen chinesischen Vakzinen geimpft.

Das steckt politisch dahinter

Stabilität
Im Herbst wird Staatschef Xi Jinping seine dritte Amtszeit ausrufen, bis dahin will man Risiken für die soziale Stabilität vermeiden. Die Nebeneffekte der Pandemie sind dem Staat willkommen.

Überwachung
Die digitale Überwachung hat im Land gewaltige Ausmaße angenommen, der Austausch mit dem Ausland ist auf ein historisches Niveau geschrumpft. Die Volksrepublik ist derart isoliert, wie sie es zuletzt unter Staatsgründer Mao war.