Die Omikron-Subvariante führt derzeit zu vielen Zweit- und Drittinfektionen. Der Immunisierungsgrad reiche für die aktuell lockeren Regeln nicht aus, sagt der Infektiologe Julian Schulze zur Wiesch – und macht klare Handlungsempfehlungen.
Der Infektiologe Julian Schulze zur Wiesch vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf hat schon im vergangenen Frühjahr Corona-Reinfektionen erforscht. Im Interview ordnet er den steigenden Anteil von Zweit- und Drittinfektionen ein.
Herr Schulze zur Wiesch, erleben wir diesen Sommer eine Reinfektionswelle?
„Ein Reinfektionsanteil von sieben Prozent wie in Baden-Württemberg ist höher als ich erwartet hätte. Wichtig ist aber: wer sich Ende 2021 seine dritte Impfung geholt hat und noch nicht infiziert war, besitzt womöglich gar keinen Schutz gegen BA.5. Selbst eine Omikron-Infektion im Frühjahr schützt nur bedingt, weil gegen BA.5 weit höhere Titerwerte notwendig sind. Viele verstehen noch nicht, dass sie auch mit drei Impfungen nicht vor Infektion geschützt sind.“
Wie problematisch ist das?
„Die Omikron-Subvariante BA.5 ist vollkommen unterschätzt worden. Wir dachten im Frühjahr, wir wären gut genug immunisiert, um die Tür zu öffnen. Wir haben sie aber etwas zu weit geöffnet. BA.5 hat zwar einen geringen Anteil schwerer Verläufe, aber die absolute Zahl der Infektionen ist so hoch, dass insgesamt trotzdem viele ins Krankenhaus müssen.“
Was ist jetzt nötig?
„Wir hätten schon früher anfangen müssen mit Vierfachimpfungen. Gesunde können auf den Omikron-Impfstoff warten. Risikogruppen sollten sich aber jetzt boostern lassen, ebenso wie Menschen, die in Gebiete mit hohen Inzidenzen reisen.“
Reicht das Impfen gegen Omikron?
„Der angepasste Impfstoff kam leider nicht schnell genug. Derzeit läuft ja die Zulassung der Stoffe, die speziell gegen BA.1 wirken. Eine breitere Immunantwort haben Geimpfte, die sich zusätzlich infizieren. Und doch reicht selbst das gegen BA.5 nicht aus. Offenbar sind Reinfektionen bei Sars-Cov2 ähnlich häufig wie bei anderen Coronaviren, die Erkältungen hervorrufen. Man hat unterschätzt, wie viele Runden an Infektionen und Impfungen man braucht, bis das Virus endemisch wird.“
Was raten Sie für den Herbst?
„Neben der Impfkampagne kommt es auf unser Verhalten an. Die Message muss sein: Man kann sich reinfizieren, auch wenn das für Jüngere und Gesunde jenseits des Long-Covid-Risikos nicht unbedingt gefährlich ist. Aber man kann Menschen aus Risikogruppen anstecken. Und wir dürfen bei Corona nicht länger nur in Krankenhaus und Intensivstation denken, sondern auch an Ermüdung, Arbeitsausfall und unsicher werdende Pläne. Deshalb sollte niemand schief angeschaut werden, wenn er im Supermarkt Maske trägt. Außer er ist kurz zuvor genesen oder zum vierten Mal geimpft worden.“