Die Demokratiebewegung in Hongkong ist der chinesischen Führung ein Dorn im Auge – Pekings Geheimdienst späht Aktivisten auch in Deutschland aus. Foto: dpa/Kin Cheung

Die Sicherheitsbehörden und die Justiz müssen sich immer häufiger mit ausländischer Spionagetätigkeit befassen.

Berlin - Noch eindringlicher als bisher warnt das Innenministerium vor der zunehmenden Geheimdiensttätigkeit im Inland. „Die Bedrohungslage für Deutschland durch Spionage, staatliche Einflussnahme und andere nachrichtendienstliche Aktivitäten verschärft sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich“, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Benjamin Strasser. „Geopolitisch relevante Konflikte aus verschiedenen Teilen der Welt werden in Deutschland und Europa ausgetragen“, lautet die Begründung.

Nicht alles wird aufgedeckt. Geschieht es doch, leitet der in solchen Fällen zuständige Generalbundesanwalt Ermittlungsverfahren ein – wie etwa nach dem sogenannten Tiergarten-Mord dessen Drahtzieher in Moskau vermutet werden. Nach den Regierungsangaben kam es seit 2015 zu 98 solchen Verfahren. In bisher neun davon kam es zu Verurteilungen von insgesamt zwölf Angeklagten – unter anderem wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit und Landesverrat. Hinzu kommen seit 2015 sechs russische und zwei vietnamesische Botschaftsmitarbeiter, die zum Verlassen des Landes aufgefordert wurden – dies ist die einzige Handhabe gegen der Spionage verdächtige, aber geschützte Diplomaten.

Die entsprechenden Arbeitsgruppen tagen öfter als je zuvor

Ein vielleicht noch stärkeres Indiz für die zunehmende Agententätigkeit ist die Regelmäßigkeit, mit der sich die Sicherheitsbehörden damit befassen müssen. Die Arbeitsgruppen im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorabwehrzentrum von Bund und Ländern, im Behördenjargon „GETZ S/P“ genannt, haben in diesem Jahr 17-mal getagt, öfter als je zuvor. 2019 leiteten das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz nur drei solcher Treffen, der bisherige Höchstwert wurde 2017 mit zehn Sitzungen verzeichnet. In den achteinhalb Monaten dieses Jahres hat es allein die „AG Operativer Informationsaustausch“ auf 16 Treffen gebracht.

Die Nachrichtendienste Russlands, Chinas, des Iran und der Türkei sind dem Ministerium zufolge am aktivsten. Es geht vor allem um eine „Zunahme sicherheitsgefährdender Einflussnahme-Aktivitäten“, mit denen andere Staaten „auf die politische und öffentliche Meinung in Deutschland im Sinne ihrer langfristigen Ziele einzuwirken“ versuchten. Außerdem sind Oppositionelle aus diesen Ländern im Exil „regelmäßig Ziel von Ausspähungen und zum Teil Opfer weitergehender Aktionen – bis hin zu Maßnahmen gegen Leib und Leben“, wie Innenstaatssekretär Günter Krings schreibt.

„Spionage in Deutschland ist ein zunehmendes Problem“

„Spionage in Deutschland ist kein Relikt des Kalten Krieges, sondern ein zunehmendes Problem“, erklärt der FDP-Innenpolitiker Strasser gegenüber unserer Zeitung. „Wenn ausländische Nachrichtendienste in unserem Land Oppositionelle ausspähen, bedrohen und attackieren, darf es die Bundesregierung nicht bei mahnenden Worten belassen.“ Der Tiergarten-Mord aus dem vergangenen Jahr und auch der Druck auf die Hongkonger Demokratiebewegung zeigten, dass „die Hand autokratischer Regime bis nach Deutschland reicht und deren Nachrichtendienste ihre Interessen knallhart verfolgen“. Die Bundesregierung müsste diese Personengruppen aus seiner Sicht besser schützen.

Der deutsche Inlandsgeheimdienst hat laut Ministerium seit 2015 bisher drei Sicherheitshinweise herausgegeben – alle in diesem Jahr. Der Schwerpunkt lag allerdings auf der Wirtschaftsspionage. Um auf diese wachsende Gefahr hinzuweisen, führe der Sicherheitsapparat „sowohl anlassunabhängige als auch generelle Sensibilisierungsmaßnahmen für Behörden, Wirtschaft und Forschung im Bereich Cyber-Sicherheit“ durch. Das wird dem Liberalen Strasser zufolge der Bedrohungslage jedoch nicht mehr gerecht: „Bei vielen Betrieben kommen die Informationen noch nicht in ausreichendem Maße an.“