Sohn und Vater, gemeinsam Buchautoren: Jakob Augstein (links) und Martin Walser Foto: Heiner Wittmann

Für den Rowohlt Verlag haben sich Martin Walser und sein Sohn Jakob Augstein zu langen Gesprächen getroffen. Im Stuttgarter Literaturhaus haben der Dichter und der Publizist nun das Ergebnis vorgestellt: „Das Leben wortwörtlich“.

Stuttgart - Voraussetzen kann man natürlich nicht, dass alle Welt das folgende Private schon registriert und abgespeichert hat, darum zwecks Klarheit eingangs noch mal die Fakten: Jakob Augstein ist der leibliche Sohn von Martin Walser. Aufgewachsen ist der inzwischen fünfzig-jährige Hamburger zwar in der Familie des „Spiegel“-Verlegers und Publizisten Rudolf Augstein und darüber selbst zum Verleger geworden („Freitag“). Hervorgegangen, schrecklich sprödes Wort, ist er aber aus einer Liaison des 1967 bereits recht bekannten Schriftstellers Walser mit der Übersetzerin und Augstein-Ehefrau Maria Carlsson. Öffentlich bekannt war das alles lange Zeit natürlich nicht. Aber getratscht wurde in Literaten- und Kritikerkreisen seit eh und je: Man wolle da ganz sicher um Himmels Willen nichts Falsches behaupten, allein, diese frappierende Ähnlichkeit, und war da nicht mal was . .  . ?

Jakob Augstein hat laut eigenem Bericht von seinem leiblichen Vater nichts gewusst, wohl aber von den Gerüchten. Nach dem Tod Rudolf Augsteins im Jahr 2002 habe er seine Mutter dann um Aufklärung gebeten und diese auch bekommen. 2005 habe er Walser um ein Gespräch gebeten; beim ersten Treffen in einer Münchner Hotellobby, so berichtet Augstein, versagte ihm zunächst die Stimme. Im Jahr 2009 ist er mit der Mitteilung über seinen wahren Vater an die Öffentlichkeit getreten. Sein Motiv waren die eigenen Kinder, denen er entsprechendes spekulierendes Gerede in Deutschstunden ersparen wollte. Andersherum: Martin Walser hat von seiner Vaterschaft zu Jakob lange Zeit (schon immer?) gewusst; die Mutter Maria Carlsson hielt den Schriftsteller am Bodensee über dessen Entwicklung „auf dem Laufenden“.

Obwohl das alles ganz zweifellos privat ist, muss man es doch wohl so im Detail erzählen, denn nur so wird der Rang deutlich, den das gerade im Rowohlt Verlag erschiene Buch „Das Leben wortwörtlich“ einnehmen soll, die Aufzeichnung eines Gespräches zwischen Martin Walser und Jakob Augstein. Der Rowohlt-Chefdenker Alexander Fest hatte die Idee, an die Stelle der ungeschriebenen Autobiografie Walsers die intensive Befragung des Schriftstellers durch den nach einem Vaterbild forschenden Sohn zu stellen. Walser fand die Idee großartig, Augstein musste es sich erst überlegen. Nun liegt das Ergebnis gebunden im Umfang von 352 Seiten vor – und das Stuttgarter Literaturhaus hatte am Sonntagabend nicht nur das Privileg der Buchpremiere, sondern auch des einzigen gemeinsamen Auftritts von Walser und Augstein aus diesem Anlass. Mithin war nicht nur der Saal voll, sondern es gab auch viele Kameras und Mikrofone.

Moderatorin Thea Dorn hatte Halsschmerzen

Nein, es wurde kein leichter Abend; das zeigte sich nicht nur an der über ihre Halsschmerzen klagenden Moderatorin Thea Dorn. Eine gewisse Befangenheit aller Beteiligten hatte man zwar erwarten müssen, aber sie entpuppte sich dann als seltsame Koketterie. Alle Hintergründe über Buch und Beziehung wurden unter den Anwesenden als allgemein bekannt vorausgesetzt; selbst auf eine wenigstens kurze Vorstellung der beiden Autoren verzichtete Dorn gleich ganz – man war offensichtlich verabredet und unter sich oder definierte sich zumindest so. Die meisten Gäste waren wohl eh’ schlicht gekommen, um ein weiteres Mal Martin Walser, nun neunzig Jahre alt und davon nicht unbeschwert, zu hören und zu erleben.

Und just dies wurde ihnen auch geboten: Tatsächlich trugen Augstein und Walser zwei Kapitel aus ihrem Gesprächsbuch als Lesung auf der Bühne vor, das eine über „die Stufen der Liebe“, das andere „über Politik, Literatur und deutsche Fragen“. Sie taten und betonten, als wenn sie sich gerade live über diese Themen in Stuttgart unterhalten würden. Und da Augstein sich im Buch fast ganz aufs Fragen beschränkt, konnte Walser auch in Stuttgart ausführlich seine Antworten vortragen, mit Rückbezügen auf Goethe, Grass, Keller, Jean Paul und wie sie alle heißen mögen. Wenn Augstein eine Frage stellt, die nicht ganz dieses Niveau hat, beginnt Walser im Buch wie auf der Bühne mit einem leise tadelnden „Jakob!“, was ihm gleich mal Lacher einbringt. Und wenn Walser in seine Antwort ein Zitat von Jean Paul einflicht, dann sagt er schon im Buch „Horch, Jakob!“, und auch auf der Bühne macht Augstein dann ein Gesicht, als wenn er nun horchen würde.

Die Beschreibung dieser Veranstaltungsdetails mag man hier als überdehnt empfinden, doch sie geschieht auch aus Ermangelung irgendwelcher Neuigkeiten aus dem Walser-Kosmos. Noch immer und weiterhin sind alle Bereiche des persönlichen Empfindens und Fühlens von tiefster Romantik geprägt, ist eine sehr junge Liebe nicht anders vorstellbar als „Sehnsuchtssüchtigkeit“ und darum auf gar keinen Fall konkreter beim Namen zu nennen, letzteres wäre nur „stumpfe Indiskretion“. Und andererseits ist der Schriftsteller seit Jahr und Tag umgeben „vom Betrieb“, von dummen, schnöder Politik und dummen, ignoranten Kritikern (Thea Dorn darf sich zu den sehr seltenen Ausnahmen zählen, sie wird eigens im Buch mit Namen und Lob erwähnt).

Marcel Reich-Ranicki bleibt auch nach dessen Tod Walsers Feind Nummer eins

Noch immer werden die alten Geschichten von Marcel Reich Ranicki erzählt, auch vier Jahre nach dessen Tod ungebrochen und wie in einer Endlosschleife: „Er wollte mich vernichten.“ – Man kann in diesem Punkt inzwischen von einer traurigen Obsession sprechen. Walser selbst berichtet, wie 1976 trotz eines wütenden und zweifellos maßlosen Verrisses von Reich-Ranicki in der „FAZ“ sein Roman „Jenseits der Liebe“ unmittelbar darauf von der Kritikerriege der „Bestenliste“ des Südwestfunks gleich zweimal hintereinander auf Platz 1 gesetzt wurde. Dieses Detail berichtet er zwar mit Stolz – um gleich darauf doch wieder zu behaupten, Reich-Ranicki sei „die Nummer eins“ des „literarischen Betriebes“ gewesen und habe Zeit seines Lebens alles und alle beherrscht.

Nein, Neues gibt es im Buch nur im letzten Kapitel zu lesen: „Was wir verschweigen. Über uns“. Da geht es um die schwierige Familiengeschichte Walser-Augstein, und warum der Vater selbst so gar keine Anstalten gemacht hatte, von sich aus mit dem Sohn Kontakt aufzunehmen. Die Pointe der Geschichte? Dieses letzte Kapitel ist gar nicht wirklich im Gespräch entstanden, sondern Augstein hat es als Solist geschrieben und hinterher Walser zum Autorisieren vorgelegt. Und die Pointe an der Pointe? Im Lauf der vielen realen Gespräche ist der Sohn seinem Vater offenbar so nah gekommen, dass er den Tonfall und die Denkstränge des Schriftstellers perfekt getroffen hat. Walser hat es geprüft und für gut befunden.