Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, setzte sich jüngst bei einem Besuch in Brüssel bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für bessere Beziehungen mit der Schweiz ein. Doch die Situation zwischen Bern und Brüssel ist verfahren. Foto: dpa/Federico Gambarini

Die Gespräche über eine engere Zusammenarbeit sind krachend gescheitert. Ein Vorstoß aus dem Europaparlament soll nun neuen Schwung bringen.

Brüssel ist von der Schweiz mächtig genervt. Besucher aus Bern werden bei der EU eher unwillig empfangen. Zu häufig und zu erfolglos haben beide Seiten in den vergangenen Monaten an einem Tisch gesessen, um sich aus der aktuellen politischen Sackgasse zu manövrieren. Die Gespräche blieben stets ohne Erfolg und die EU benennt ungewöhnlich offen den Verantwortlichen: die Schweiz.

Einer, der versucht, wieder Bewegung in die verfahrene Situation zu bringen, ist Andreas Schwab. Der Europaparlamentarier aus Baden-Württemberg und Vorsitzender der EU-Delegation für die Beziehungen zur Schweiz hat nun einen Vorschlag auf den Tisch gelegt, wie die von Bern nach acht Jahren einseitig abgebrochenen Verhandlungen über das geplante Rahmenabkommen wieder aufgenommen werden könnten. Fraglich ist allerdings, wie groß der Wille der zuständigen EU-Kommission ist, auf die Schweiz zuzugehen. Denn in Brüssel hat man nicht vergessen, dass die Schweiz der EU krachend die Tür vor der Nase zugeschlagen hat.

Der Schweiz wird Rosinenpickerei vorgeworfen

Die Ausgangslage ist reichlich komplex. Die Schweiz ist kein EU-Mitglied, nimmt aber weitgehend am EU-Binnenmarkt teil. Nicht zuletzt deshalb wurde den Eidgenossen häufig Rosinenpickerei vorgeworfen. Geregelt wurde das Zusammenleben über ein kompliziertes Geflecht aus unzähligen bilateralen Verträgen. Beide Seiten kamen schließlich überein, dass man diese für beide fruchtbare Kooperation in einem Rahmenabkommen aus einem Guss vereinfachen könnte.

Nach acht langen Verhandlungsjahren kam aber das böse Erwachen. Die Regierung in Bern verweigerte im vergangenen Jahr überraschend die Zustimmung. Sie sah zu viel Widerstand in den Kantonen und fürchtete, dass das Vertragswerk per Referendum gekippt werden könnte. Strittig waren dabei etwa Staatshilfen, Maßnahmen zum Schutz der hohen Schweizer Löhne und der Zugang von EU-Bürgern zu Schweizer Sozialkassen. Die EU war konsterniert und ließ ausrichten, dass Brüssel ohne Rahmenabkommen die bilateralen Abkommen nicht weiter einzeln aktualisieren werde. Das Problem: die Abkommen veralten und sind irgendwann nicht mehr anwendbar.

Die Situation ist reichlich verfahren

Nun herrscht seit Monaten eine Art beredter Sprachlosigkeit. Diese vertrackte Situation will Andreas Schwab aufbrechen, indem er der Schweiz einen kleinen Schritt entgegenkommt. Ausgangspunkt ist, dass der Bundesrat in Bern ein allgemeines Abkommen ablehnt und eine Einzelregelung für jeden Politiksektor anstrebt. Hier schlägt der CDU-Politiker nun vor, dass das Rahmenabkommen bestehen bleibt, aber etwa in Sachen Streitschlichtung durchaus Fragen in den einzelnen Bereichen geklärt werden könnten.

Der Europapolitiker will mit seinem Vorschlag allerdings nicht nur zwischen den Fronten vermitteln. Sein offensichtliches Ziel ist es, die Eidgenossen dazu drängen, endlich klare Positionen zu beziehen. Denn Andreas Schwab hat den Eindruck, dass die Schweizer Regierung in ihrer Haltung zur EU intern gespalten ist. Die Verhandlungspartner aus Bern müssten „endlich konkrete Vorschläge machen“, wie sie die eigenen innenpolitischen Interessen mit jenen der Europäischen Union in Einklang bringen wollen, lautet die ungewöhnlich klare Ansage des CDU-Politikers. Das sei nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine in seinen Augen dringlicher als je zuvor. Denn in Mitleidenschaft gezogen werden etwa auch ein Solidaritätsabkommen in Sachen Energie und die Gespräche über die Zusammenarbeit bei der Stromversorgung.

Der Südwesten ist ein wichtiger Partner

Der EU-Abgeordnete aus Rottweil handelt natürlich nicht ganz uneigennützig, denn langfristig steht vor allem für Baden-Württemberg einiges auf dem Spiel, sollte die Eiszeit andauern. Die Schweiz ist einer der wichtigsten Handelspartner des Südwestens - bei den Exporten aus Baden-Württemberg steht das Land nach den USA und China etwa auf Platz 3. Es gibt 131 Hochschulkooperationen. Mehr als 57 000 Grenzgänger pendelten im Jahr 2020 von Baden-Württemberg ins Nachbarland - das sind laut Stuttgarter Staatsministerium über 90 Prozent aller Pendler aus Deutschland in die Schweiz.

Ob die zuständige EU-Kommission den Vorschlag von Andreas Schwab aufgreifen wird, ist im Moment allerdings mehr als fraglich. Auf der Liste der zu lösenden Probleme steht die Schweiz in Brüssel angesichts des Krieges und dessen schwerwiegenden Folgen für Europa im Moment ganz weit hinten.