„Salafismus – Zwischen Verführung und Heiligem Krieg“: Unser Reporter Franz Feyder, Innenminister Reinhold Gall, der CDU-Abgeordnete Bernhard Lasotta und Chefredakteur Christoph Reisinger (v.li.) Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Der islamistische Terrorismus ist auch in Baden-Württemberg angekommen. Was macht den Salafismus so attraktiv für junge Menschen, dass sie sich einer ultrakonservativen Interpretation des Islam anschließen und oft sogar bereit sind, zu morden und sich töten zu lassen?

Stuttgart - Die Anschläge von Paris und Kopenhagen haben Europa mitten ins Herz getroffen und den gesamten Kontinent aufgerüttelt. Sie haben Ängste geschürt und die Frage aufgeworfen, wie sehr auch Deutschland vom Terrorismus bedroht ist. Zwar sind bislang noch keine konkreten Pläne von Anschlägen im Südwesten bekannt. Dennoch wollten 250 Zuhörer bei der Podiumsdiskussion „Brennpunkt Salafismus“ unserer Zeitung am Dienstagabend in der Sparda-Welt am Stuttgarter Hauptbahnhof aus erster Hand erfahren, wie sich die Sicherheitsbehörden des Landes darauf vorbereiten, wenn aus Baden-Württemberg stammende Kämpfer aus Syrien in ihre Heimat zurückkehren.

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Was fasziniert gerade junge Menschen am Salafismus, dem die meisten der aus Deutschland stammenden Kriegsreisenden angehören, wollte Moderator Christoph Reisinger, Chefredakteur unserer Zeitung, wissen? Der Großteil – egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund – stecke in einer Identitätskrise, skizziert Assaf Moghadam den typischen Lebenslauf der jungen Menschen, die sich den Terroristen anschließen. „Sie stecken zwischen zwei Welten und können sich nicht in die moderne westliche Gesellschaft einfügen“, stellt der aus Pforzheim stammende Professor am Institut für Terrorabwehr der Freien Universität Herzliya (Israel) fest, der via Skype direkt aus Israel zugeschaltet war. Zugleich könnten sich die meisten dieser jungen Menschen nicht mit der moderaten, älteren Form des Islam ihrer Eltern identifizieren.„Der Salafismus bietet ihnen eine alternative Lebensphilosophie, in der sie sich zurechtfinden.“

Den jungen Menschen wird eine Art Familie geboten

Ähnliche Erfahrungen hat Franz Feyder, Leitender Redakteur des Recherchepools unserer Zeitung gemacht. „Viele der aus Baden-Württemberg und aus Deutschland stammenden Dschihadisten sind junge Menschen auf der Suche nach Werten, ihr Antrieb ist ihre Orientierungslosigkeit.“ Hier biete der Salafismus ein Modell mit verschiedenen Lösungsmöglichkeiten. „Den letzten Kick bringt die Tatsache, dass den jungen Leuten eine Art Familie geboten wird.“ So gaben etwa Fritz Gelowicz und Daniel Schneider von der sogenannten Sauerlandgruppe an, dass sie in Moschee-Vereinen zum ersten Mal eine gemeinsame Mahlzeit kennengelernt hätten. Im Herbst 2007 hatte eine Spezialeinheit der GSG 9 die islamistischen Bombenleger im sauerländischen Oberschledorn überwältigt.

Viele der Dschihadisten seien junge Menschen, die immer wieder Ausgrenzungserfahrungen gemacht hätten, stellt Bernhard Lasotta, der integrationspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion fest. „Plötzlich finden sie Halt in einer Bewegung, die etwas Familiäres vermittelt, aber auch Macht. Dort erleben sie das ,Dazugehören‘.“

Es gebe keine typische Biografie der Dschihadisten, betont Gall. „Deshalb sind sie so schwer zu identifizieren“, folgert der Landesinnenminister. Der SPD-Politiker räumt ein, dass die Zahl der gewaltbereiten Gefährder zuletzt „beträchtlich angestiegen ist, das macht uns große Sorgen“. Zwar kehrten zahlreiche Rückkehrer sehr desillusioniert zurück, einige seien aber noch radikalisierter.

Der Islamische Staat geht viel entschlossener und radikaler als El Kaida vor

Gemeinsamer Nenner der jungen radikalisierten Muslime ist die religiöse Ideologie des Dschihadismus, also des so genannten Heiligen Krieges. „Was alle Dschihadis vereint, ist das Weltbild, dass der Islam Opfer einer Attacke von drei Gegnern ist“, erklärt Terrorismusexperte Moghadam. Erstens: Der Kreuzzügler, also der westlichen, christlich geprägten Staaten. Zweitens: Der Zionisten und drittens: der abtrünnigen Muslime, also all jener, die nicht der wortgetreuen Auslegung des Islam folgen, wie es die Salafisten tun. „Ihren gemeinsamen Auftrag sehen sie darin, für die Verteidigung des Islam zu kämpfen“, sagt Moghadam, „auch mit Gewalt“.

Gall macht jedoch deutlich, dass für die baden-württembergische Landesregierung „das gesamte Spektrum des Salafismus nicht akzeptabel“ sei. „Das gilt auch für diejenigen, die zwar nicht auf Gewalt setzen, hier aber einen Gottesstaat unter dem Recht der Scharia einführen wollen.“

Der entscheidende Unterschied zwischen dem Islamischen Staat (IS) und der mit ihm konkurrierenden Terrorgruppe von El Kaida ist das sehr viel entschlossenere und noch radikalere Vorgehen des IS, darin ist sich die Runde auf dem Podium einig. „El  Kaida wollte immer ein Kalifat ausrufen“, beschreibt es Professor Moghadam, „der IS hat das Kalifat erklärt und arbeitet jetzt daran es zu festigen.“ Auch werden die Kämpfer des IS hoch professionell nach westlichen Standards – unter anderem von früheren niederländischen und georgischen Militärs – ausgebildet, wie Feyder bei seinen zahlreichen Recherchereisen nach Syrien und in den Irak beobachtet hat. „Wir müssen uns davon lösen, den IS als tumbe Narrentruppe darzustellen“, warnt Feyder und betont: „In Deutschland ist die Terrorgefahr nicht abstrakt, sondern sehr wahrscheinlich geworden.“

Innenminister Gall fordert eine konsequente Strafverfolgung

Einen stärkeren gesellschaftlichen Diskurs mahnt CDU-Integrationspolitiker Lasotta an. „Ich habe nie verstanden, dass die Gesellschaft nie aufgestanden ist und – wie sie es gegen rechte Tendenzen zum Glück tut – gegen salafistische Bewegung die Stimme erhoben hat.“ Alles was hier an salafistischen Strömungen aufkommt, müsse gesellschaftlich geächtet werden. „Wir müssen mehr tun als Prävention, wir brauchen auch Repression und konsequente Strafverfolgung“, stellt Gall klar und verweist auf des Anti-Terror-Paket, im Zuge dessen die grün-rote Landesregierung hundert zusätzliche Stellen in der Terrorabwehr schaffen will.

Moghadam rät, die salafistisch-terroristische Ideologie viel stärker zu diskreditieren. „Die meisten Opfer des Dschihad sind Muslime – das widerlegt die These der Terroristen, dass ihr Kampf den Muslimen und dem Islam diene.“ Doch auch er räumt ein: „Terrorismus ist ein sehr komplexes Phänomen, deshalb gibt es keine einfache Antwort zu seiner Bekämpfung.“