Mahnwache an der Moschee in Lauffen. Foto: 7aktuell.de/Jochen Buddrick

Es ist schön, wenn Gutes aus Schrecklichem entsteht. Doch es lohnt sich, die Hintergründe zu kennen, ehe man aktiv wird, wie ein Fall in Lauffen zeigt, meint Lokalchef Holger Gayer.

Stuttgart/Lauffen - Solidarität zu spüren ist eine der erfüllendsten Empfindungen des Menschen. Wer zum Beispiel dabei war, als Anfang der neunziger Jahre Tausende von Deutschen auf die Straße gingen, um nach den Brandanschlägen von Rostock und Hoyerswerda gegen die Neonazis im eigenen Land zu demonstrieren, wird das niemals vergessen. „Niemals vergessen“, so heißt auch ein Lied, das damals in Stuttgart einige Dutzend Musiker – von den Punkurgesteinen von Normahl bis zu den Deutschpophelden von Pur –, Fußballer, Medienleute und Kreative unter dem Bandnamen „Wir für alle“ einspielten. Gemeinsam setzten sie bei Spontankonzerten auf dem Schlossplatz oder im Neckarstadion vor den Heimspielen des VfB ein Zeichen gegen den Hass – und spürten dabei jene unvergleichliche Gänsehaut, die nur aufkommt, wenn man gemeinsam Gutes tut.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Gedenken. Auch dabei entsteht Solidarität – wie am Donnerstag, als Vertreter von Stadt, Land und Kirchen am Nordbahnhof an die Deportation der Sinti und Roma vor 75 Jahren erinnerten und die Unterzeichnung eines neuen Staatsvertrags ankündigten. Oder tags zuvor, als die Zivilcourage des Widerstandskämpfers Hans Gasparitsch gefeiert wurde, der am 14. März 1935 „Hitler = Krieg“ auf die Rossbändiger-Statue im Schlossgarten schrieb – und dafür ins Konzentrationslager gesteckt wurde.

Erinnerungen an die Reichspogromnacht

Der Haken an der Solidarität ist nur, dass oft erst etwas Schreckliches geschehen sein muss, ehe sie zustande kommt – und aus dem ersten Impuls heraus mitunter voreilige Schlüsse gezogen werden. So wie vor gut einer Woche, als in Lauffen am Neckar Molotowcocktails in eine Moschee geworfen wurden. Spontan haben sich noch am selben Abend viele Menschen zu einer Mahnwache gegen „den islamfeindlichen Anschlag“ getroffen und an die Reichspogromnacht erinnert: „Nie wieder 1938! Keine brennenden Gotteshäuser!“

Auf den ersten Blick ein schönes Zeichen, fürwahr. Doch gesetzt wurde es zu einer Zeit, da es die Polizei bereits für wahrscheinlicher hielt, dass gewaltbereite Kurden für den Anschlag verantwortlich sind als dass es sich bei den Tätern um Neonazis handelte. Inzwischen hat sich eine PKK-nahe Gruppe zu der Tat bekannt.

Die Moschee wird von Milli Görüs betrieben

Die betroffene Moschee wird betrieben von der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, die das Landesamt für Verfassungsschutz als „bedeutendste legalistische Organisation des islamistischen Spektrums“ in Deutschland bezeichnet. Auch die AKP stehe „in der Milli-Görüs-Tradition“, heißt es im Verfassungsschutzbericht. Die AKP wiederum ist die Partei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der mit militärischen Mitteln gegen die Kurden kämpft und die Menschenrechte in seinem Land mit Füßen tritt.

All das rechtfertigt nicht, dass in Deutschland Brandsätze auf eine Milli-Görüs-Moschee geworfen werden. Keine Frage: Die Täter müssen bestraft werden. Aber als solidarischer Bürger sollte man auch wissen, mit wem man sich solidarisiert – und dass die Welt bisweilen komplizierter ist als sie auf den ersten Blick erscheint.