Menschenhandel, Rockerbanden, organisierte Kriminalität – bisher stand das nie in Zusammenhang mit dem Edelbordell-Unternehmen Paradise. Eine Großrazzia der Polizei bringt den angeblichen Saubermann der Sexbranche nun aber in Bedrängnis.
Stuttgart - Es ist ein offenes Geheimnis, dass hier schon so mancher VfB-Fußballprofi Kunde gewesen ist. Der eine weniger, der andere mehr. Gelegentlich hat man einem raten müssen, seinen auffälligen Sportwagen doch lieber in der Tiefgarage zu parken. Aber ganz offensichtlich überzeugt das Spielkonzept des Saunaclubs „Paradise“ selbst Bundesligaprofis – hier draußen im Süden Stuttgarts, in einem Gewerbegebiet in Leinfelden-Echterdingen, mit Blick auf die Autobahn, die Landesmesse, den Flughafen. Der Eigentümer eines der größten Wellness-Bordelle Deutschlands, Jürgen Rudloff, ist ja auch auf der VfB-Tribüne keine persona non grata, keine unerwünschte Person. Warum auch? Der Mann überzeugt seit vielen Jahren alle Welt davon, dass politisch korrekte, ehrliche Prostitution und seriöse Erotikdienstleistung als Geschäftsmodell möglich sind.
900 Polizisten bei internationalem Generalangriff im Einsatz
Bis Sonntagabend jedenfalls. Da kommt ein ganzer Tross von auffälligen Fahrzeugen, die sich gar nicht erst die Mühe machen, unauffällig in der Tiefgarage zu parken. Die Polizei startet eine internationale Großrazzia, und die Aktion gilt Rudloffs Imperium der seriösen Erotikdienstleistung. Vier Großbordelle in Echterdingen, in Frankfurt, in Saarbrücken und in Graz in der österreichischen Steiermark sind betroffen, dazu fünf Geschäftsräume, 28 Wohnungen und 14 Fahrzeuge in sechs Bundesländern sowie in Österreich, Bosnien und Rumänien. 900 Polizisten sind bei dem internationalen Generalangriff unter der Regie des Landeskriminalamts und der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, Abteilung Organisierte Kriminalität, im Einsatz.
Die Vorwürfe: Verdacht des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, der Zuhälterei und des gewerbsmäßigen Betrugs. Es gibt 15 Beschuldigte, unter ihnen Jürgen Rudloff. Doch nicht bei ihm, dem vitalen Mann der Generation Ü 60, dem Unternehmer und Investor, klicken die Handschellen. sondern bei denen, die man gemeinhin als rechte Hand bezeichnet. Sein 49-jähriger Geschäftsführer und der 48-jähriger Marketingleiter, Pressesprecher und Statthalter in Saarbrücken. Letzterer hat mit Rudloff vor fünf Jahren einen Bundesverband des Deutschen Erotikgewerbes gegründet und ist dessen Präsident. Sitz: in der damaligen Paradise-Zentrale im Stuttgarter Osten.
"Das sind doch alles Unterstellungen"
Neben den beiden Statthaltern werden am Sonntagabend ein 21-Jähriger sowie zwei 25 und 26 Jahre alte Frauen festgenommen. Am Montagnachmittag erlässt ein Richter gegen alle fünf Beschuldigte Haftbefehl. Rudloff bewahrt die Ruhe: „Ich sehe den Ermittlungen gelassen entgegen“, sagt er, „das sind doch alles Unterstellungen, und es ist nur eine Frage der Zeit, dass das alles wegplatzt.“
Offenbar sind es Ermittlungen in rockerähnlichen Banden, die das Paradies nun ins Wanken bringen. Ulrich Heffner, Sprecher des Landeskriminalamts, schweigt dazu. Er sagt nur: „Seit Jahresbeginn ist die Gemeinsame Ermittlungsgruppe Schleuser dran an dem Fall.“
Dass Rockerbanden im Rotlichtmilieu agieren, ist keine Überraschung. Dass sie dies auch im Umfeld des Paradise tun, war eher ein Gerücht. Man hatte es ahnen können, als 2009 im Augsburger Landgericht zwei Männer wegen Menschenhandels und Zuhälterei zu Haftstrafen verurteilt wurden, weil sie eine 18-Jährige in Rudloffs Etablissement in Echterdingen untergebracht hatten. Damals saßen Herren in auffälliger Rockerkluft im Publikum – ganz so, als müssten sie aufpassen, was die junge Frau im Zeugenstand so alles ausplaudert.
Die Ermittler finden Verbindungen zu United Tribuns
Doch nicht etwa die Hells Angels, denen man stets eine Nähe zum Paradies nachgesagt hat, stehen im Fokus der Ermittler. Sondern einer der Konkurrenten – die United Tribuns. Die Gruppierung aus Bodybuildern, Kampfsportlern und Türstehern war vor zehn Jahren vom ehemaligen bosnischen Boxer Almir C., genannt Boki, in Villingen-Schwenningen gegründet worden. Boki betrieb selbst mit anderen Mitgliedern diverse Bordelle, ehe er sich 2009 in die Heimat absetzte, als die Polizei ihn bei einer Großrazzia festnehmen wollte.
Mehrere der 15 Beschuldigten sollen dieser Rockergang angehören – und für Nachschub des Angebots im Sex-Paradies gesorgt haben. Mit der sogenannten Loverboy-Methode: Jungen Frauen unter 21 Jahren wird dabei die große Liebe vorgegaukelt, später werden sie davon überzeugt, dass sie durch Prostitution ihrem Geliebten aus finanziellen Schwierigkeiten helfen müssen. Ganz wie bei der 18-Jährigen aus Augsburg.
Mit den Erkenntnissen der Ermittler rückt auch eine Auseinandersetzung in ein anderes Licht, die sich am 10. November 2012 vor dem Paradise in Echterdingen zugetragen hatte. Ein 28-Jähriger und sein Begleiter waren vor dem Haus von einem Überfallkommando abgepasst und brutal zusammengeschlagen worden. Offenbar ging es um eine Prostituierte, die für 40 000 Euro abgelöst werden sollte. Das Opfer identifizierte die Angreifer als Mitglieder der United Tribuns. Sie landeten wegen versuchten Mordes auf der Anklagebank.
„Die Behörden sind es, die was über die Frauen wissen müssten, nicht ich.“
Rocker hin, Rocker her. Rudloff hält das alles für „an den Haaren herbeigezogen“. Er wisse nicht, woher die Mädchen kommen, wer sie bringe. Das erklärte er 2009 den Augsburger Richtern, das erklärt er auch jetzt wieder. Er könne aber sagen, ergänzt Rudloff, dass er ein Check-in-System aufgebaut habe, das reichlich Transparenz ermögliche. Die Mädchen werden registriert und deren Daten den Behörden gemeldet. Das Finanzamt bekomme für jede Prostituierte einen Pauschalbetrag. „Die Behörden sind es also, die was über die Frauen wissen müssten, nicht ich.“
Ein Vorwurf der Ermittler trifft Rudloff aber direkt: Geldgeber sollen unter Vortäuschen falscher Tatsachen verleitet worden sein, in die Großbordelle zu investieren. Die Gelder sollen aber auch für private Zwecke verwendet worden sein. „Über die Größenordnung machen wir derzeit keine Angaben“, sagt Staatsanwältin Claudia Krauth.
„Unterstellungen“, sagt Rudloff. Er habe namhafte Unternehmen, und nicht ein Investor habe bisher ein Problem bei ihm angezeigt. „Nicht einer hat sich beklagt, dass er seine Rendite nicht bekäme“, sagt der Geschäftsmann. Bisher ist sein Imperium auf Expansionskurs.
Erst im Juli wurde in Saarbrücken-Burbach das neueste Groß-Bordell eröffnet – mit der Aussicht auf reichlich Kundschaft aus dem nahen Frankreich. Im November 2012 machte im steiermärkischen Graz unter seiner Flagge das größte Bordell auf. „Wir befreien Prostitution vom Schmuddelimage und von Kriminalität“, sagte damals jener Paradise-Sprecher, der jetzt in Untersuchungshaft sitzt.
Doch die Expansion des Imperiums klappt nicht immer. Die Pläne in Villach in Kärnten landeten in der Schublade. Und der Gentlemen’s Club auf Sylt, den Rudloff mit dem inzwischen gestorbenen Stuttgarter Musicalkönig Rolf Deyhle aufbauen wollte, scheiterte am Widerstand der Insulaner.
Noch läuft der Betrieb im Paradise – doch wie lange? „Wir sind ein mittelständisches Unternehmen mit 60 Mitarbeitern“, sagt Rudloff, „das schließt man nicht von heute auf morgen zu.“ Die Frage könnte sich, sollte sich der Verdacht erhärten, aber der Gewerbebehörde der Stadt Leinfelden-Echterdingen stellen. Der zuständige Bürgermeister Alexander Ludwig weiß noch nicht, ob und wann seine Leute auffällig vors Paradies vorfahren werden: „Wir haben bisher keine relevanten Informationen von der Polizei bekommen.“
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