Nahe an den Menschen: Sozialbürgermeisterin Alexandra Sußmann bei einem Besuch in der Vesperkirche. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Ungewöhnlich harsch kritisiert Stuttgarts Sozialbürgermeisterin Alexandra Sußmann (Grüne) Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der die Betreuung der unter 25-Jährigen von den Jobcentern auf die Arbeitsagenturen übertragen will. Sußmann warnt vor „dramatischen Folgen für den Arbeitsmarkt in Stuttgart“.

Dass sich die Sozialbürgermeisterin der Landeshauptstadt hilfesuchend an die Bundestagsabgeordneten aus Stuttgart wendet, kommt nicht alle Tage vor. Vor allem nicht mit einem solchen Brandbrief. Zusammen dem Leiter des städtischen Jobcenters, Jochen Wacker, erhofft sich Alexandra Sußmann (Grüne) von dem Schreiben, dass die Pläne von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zur Betreuung von jungen Menschen unter 25 Jahren doch noch verhindert werden können.

 

Sußmann sieht „erhebliche Probleme“ für Stuttgart

Dass Heil diese Altersgruppe, so diese selbst oder über ihre Eltern Bürgergeld beziehen, von 2025 an nicht mehr in die Zuständigkeit der Jobcenter, sondern die der Agentur für Arbeit geben will, betrachten Sußmann und Wacker mit „tiefer Besorgnis“. Sie befürchten durch diesen „vornehmlich fiskalisch begründeten Rechtswechsel“ in der Landeshauptstadt „erhebliche Probleme mit schon jetzt absehbaren schwerwiegenden Konsequenzen für die von uns betreuten jungen Stuttgarterinnen und Stuttgarter“. Werde der Plan umgesetzt, werde sich „die Situation am Ausbildungsmarkt massiv verschärfen“. Deshalb bitten Sußmann und Wacker die Bundestagsabgeordneten „inständig, gegen diese Pläne vorzugehen“. Gerichtet ist der Brief an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), Bernd Riexinger (Linke), Judith Skudelny (FDP), Maximilian Mörseburg (CDU), Anna Christmann (Grüne) und Dirk Spaniel (AfD).

Jochen Wacker verdeutlicht die befürchteten Probleme mit zwei Zahlen: So habe die Agentur für Arbeit im Ausbildungsjahrgang 2021/2022 im Auftrag des Jobcenters insgesamt 136 junge Menschen in Ausbildungsverhältnisse vermittelt. Im gleichen Zeitraum habe das Jobcenter Stuttgart „mit seinem intensiven und familienzentrierten Beratungsansatz 626 Vermittlungen in Ausbildung erreicht“, betont Wacker. Das sind gut viereinhalb Mal so viele. Diese Zahlen zeigten „die Leistungsfähigkeit des Jobcenters und was eine Zerschlagung der über viele Jahre gewachsenen Struktur für Stuttgart und die Chancen der jungen Menschen in Stuttgart bedeuten würde“. Dabei gehe es „nicht um einen Systemwettbewerb“, sagt der Chef des Jobcenters. Angesichts der gemeinsamen guten Arbeit dürfe man aber „nicht ohne Not sehr gut funktionierende örtliche Strukturen zerschlagen“. Schon im jüngsten Sozialausschuss des Rats hatte Wacker gewarnt: „Das wird sonst größere Einbrüche geben.“

Eine über Jahre gewachsene Struktur

Die vom Bundesministerium erst „nachgereichte inhaltliche Begründung“ für die Pläne halten Sußmann und Wacker denn auch für „bemüht und nicht haltbar“. Man habe in Stuttgart über 15 Jahre eine gewachsene und vielfältige Hilfestruktur für die Gruppe der unter 25-Jährigen aufgebaut. In einer langen Liste von Beispielen führen die Schreiber auf, wie die ganzheitliche Betreuung in Zusammenarbeit mit den hiesigen Sozialträgern funktioniert.

Etwa durch die „Fachstelle für jungen Menschen U 25“, wo Fachteams diese beim wichtigen und oft schwierigen Übergang von der Schule in den Beruf begleiten. In der Abteilung Migration und Teilhabe des Jobcenters würden junge Geflüchtete „mit den Familien ganzheitlich begleitet“ und an das hiesige Bildungssystem herangeführt. Man biete aufsuchende Arbeit und kooperiere eng mit der Mobilen Jugendarbeit sowie mit den kirchlichen Sozialträgern. Diese Arbeit fuße auf über Jahre aufgebauten Kontakten etwa zu Praktikumsbetrieben, sie geschehe häufig stadtteilorientiert. Man habe lange Jahre eine Expertise aufgebaut, durch Kooperationen und durch Einrichtungen wie den Ausbildungscampus sei man für die Aufgabe „besser geeignet“.

Die Folgekosten „wären erheblich“

Es sei in Stuttgart weiter „entscheidend“ für die Qualität der Arbeit und der Ergebnisse, dass die Hilfen zur Existenzsicherung und zur Eingliederung der jungen Menschen beim Jobcenter blieben. Angesichts des Fachkräftemangels könne man es sich „nicht leisten, diese erfolgreichen Strukturen zu zerschlagen“, schreiben die Bürgermeisterin und der Jobcenterchef. „Die Folgekosten dieser Entscheidung wären erheblich, die gesellschaftlichen Folgen und die Folgen für den Arbeitsmarkt in Stuttgart dramatisch.“

Alexandra Sußmann und Jochen Wacker kritisieren auch, dass der Bund bereits für 2024 erhebliche Mittelkürzungen für die Jobcenter vorsieht, bundesweit im Umfang von 500 Millionen Euro. Man brauche eine „verlässliche und auskömmliche Finanzierung“, heißt es in dem Schreiben. Die betreffe nicht nur die Integration von Geflüchteten, sondern auch den Ausbau der Qualifizierungsangebote im Rahmen des neuen Bürgergeldgesetzes.

Sußmann und Wacker stehen mit ihrem Protest nicht alleine. Auch die Bundesländer, Städte- und Landkreistag sowie der Städte- und Gemeindebund laufen gegen die Pläne Sturm.