Christiana Berner Foto: /B. Scherer

Das Diakonische Beratungszentrum in Esslingen legt Zahlen vor, die einen gestiegenen Beratungsbedarf zeigen. Im vergangenen Jahr hätten rund 1750 Menschen den Weg in die Beratungsstellen gefunden.

Die Psychologischen Beratungsstellen des Kreisdiakonieverbands Esslingen arbeiten in ihren Einrichtungen in Esslingen, Bernhausen, Leinfelden-Echterdingen und in Nellingen mit Menschen in Krisen. Jetzt liegt der Jahresbericht vor. „Die Pandemie ist zwar einerseits vorbei, andererseits erleben wir aber ihre Auswirkungen“, sagt Eberhard Haußmann, der Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbands im Landkreis Esslingen. Rund 1750 Menschen haben den Weg in die Beratungsstellen gefunden. Darüber hinaus sind nochmals mehr als 1000 Menschen über Vorträge, Workshops oder Onlineformate erreicht worden.

Einsamkeit, Ängste und sogar Suizidgedanken

Haußmann verweist auf die vielen Kinder und Jugendlichen, die nicht gut aus der Pandemie herausgekommen seien. Die unsicher und verzagt seien, die unter Einsamkeit litten und von Ängsten und sogar von Suizidgedanken gequält würden. Verstärkt werde die Situation dadurch, dass nach der Pandemie der Ukraine-Krieg begonnen hat und weitere diffuse Ängste geschürt habe. Das betreffe Familien aus allen Schichten.

Die Nachfrage nach Beratungsgesprächen für Familien habe in den Einrichtungen der Kreisdiakonie deutlich zugenommen. Christiana Berner, die Leiterin der Psychologischen Beratungsstelle Filder, ist alarmiert: „Wir haben im vergangenen Jahr einen gestiegenen Bedarf an Beratungen für Familien“, sagt sie. Da sei das Thema Kinder und Jugendliche stark präsent. Bis zu 75 Prozent aller Beratungen befassten sich mit familiären Themen. Berner schildert ein Fallbeispiel: Lena ist neun Jahre alt und besucht die 4. Klasse. Zwei Schuljahre und damit die Hälfte ihrer Schulzeit waren durch Onlineunterricht geprägt. Die Rückkehr in die Schule und die Orientierung fallen ihr schwer. Im Präsenzunterricht kommt sie nicht immer gut mit. „Es ist laut, alle sprechen durcheinander, und oft gibt es Streit“, klagt Lena. Die Verunsicherung ist groß – auch, weil Lena nicht weiß, ob die Schule nicht bald doch wieder schließt. Sie reagiert mit Bauchweh, Traurigkeit und Angst, sie zieht sich zurück, weint viel und isst wenig. Auf Empfehlung der Schule und der Schulsozialarbeit kommt Lena zu Gesprächen in die Beratungsstelle Filder. Dort werden Rituale gegen ihre Ängste eingeübt, für sie positive Erlebnisse werden auf den Weg gebracht, auch nach ihren Eltern wird geschaut. „So reagieren viele Kinder und Jugendliche“, stellt Berner fest. Die Kinder leiden still, ist ihre Erfahrung. Auffälligkeiten gebe es wenige, was auch das Hinschauen erschwere. „Wir dürfen diese jungen Menschen nicht aus den Augen verlieren“, mahnt sie an. Das Leiden gehe weiter und könne sich in Richtung Suizidgedanken entwickeln.

Oftmals falle es schwer, sich direkt an eine Beratungsstelle zu wenden. Die Onlineberatung Onbera soll Hemmschwellen überwinden helfen. Ein erster Kontakt könne so hergestellt werden, so Berner. 688-mal seien so Kontakte zustande gekommen.

Überlastung des Beraterpersonals

Einen Anstieg an Problemen zeigt der Jahresbericht auch im Bereich sogenannter hochstrittiger Paare, die von den Familiengerichten zum Beratungszentrum geschickt werden. Auch da habe die Pandemie mit dem Lockdown ihren Beitrag geleistet, indem sie ohne die Möglichkeit, einander auszuweichen, Konflikte verschärft hat.

Die Situation der Betroffenen werde oftmals erschwert durch Engpässe im Gesundheitswesen, wie Uwe Stickel, der Leiter des Diakonischen Beratungszentrums Esslingen, erläutert. Menschen in Beratungen, die dringend stationäre oder zumindest therapeutische Behandlung benötigten, fänden nicht gleich einen Platz in den Einrichtungen. Eberhard Haußmann verweist auch auf die Überlastung des Beraterpersonals. Er sieht die Politik in der Pflicht: „Es gibt keine Kindergrundsicherung, wir haben schlechte Schulen, nicht funktionierende Turnhallen, schlechte Kinderbetreuung. Das Fundament muss bearbeitet werden. Wenn man alles laufen lässt, wird es nur viel teurer.“