Am Sonntag haben in ganz Deutschland Instrumentalisten und Sänger Beethovens „Ode an die Freude“ aufgeführt. Foto: dpa/Thomas Frey

Am Sonntag haben deutschlandweit Profi- und Laienmusiker die „Ode an die Freude“ auf Balkonen und hinter geöffneten Wohnungsfenstern musiziert. Was ist das für ein Stück, und warum steht es wie kein anderes für menschliches Miteinander?

Stuttgart - Eigentlich wollte Ludwig van Beethoven in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts eine rein instrumentale Sinfonie komponieren. Dann aber hat ihn der Gedanke, die traditionellen Formen der Gattung mit einem Chorsatz zu sprengen, nicht mehr losgelassen, und er hat getan, was er lange schon vorhatte: nämlich das 1785 entstandene Gedicht „An die Freude“ von Friedrich Schiller in Musik zu setzen, dessen von der französischen Revolution gespeiste Utopie einer Gesellschaft gleichberechtigter, durch Freude und Freundschaft verbundener Menschen ihm nahe war.

Beethoven vertont im Schlusssatz seiner neunten Sinfonie die erste und dritte Strophe von Schillers Gedicht komplett, außerdem Teile der zweiten und vierten Strophe. Der Text wird, beginnend mit der Zeile „Freude, schöner Götterfunken!“ von vier Gesangssolisten und einem groß besetzten Chor gesungen; zuvor hat das Orchester das Thema schon mehrfach gespielt und variiert. Auch insgesamt ist der Finalsatz der Neunten formal eine Mischung aus Rondo und Variationensatz – einschließlich so exotischer Einschübe wie einem mit viel Schlagwerk garnierten Marschthema, einer Reverenz an die Türkenmode der Zeit.

Nach ihrer Uraufführung 1824 in Wien erntete die neunte Sinfonie ihres letzten Satzes wegen von Zeitgenossen viel Kritik. Erst im zwanzigsten Jahrhundert machte man sie – ebenfalls wegen ihres letzten Satzes – zum Feier- und Repräsentationsstück. 1972 erklärte der Europarat das „Freude, schöner Götterfunken“ zur Europahymne, welche die Europäische Gemeinschaft 1985 übernahm. Die Begründung: Diese Musik mit ihrem pathetischen „Seid umschlungen, Millionen!“ versinnbildliche „Werte, die alle teilen, sowie die Einheit in der Vielfalt“. Und Silvester ohne die „Ode an die Freude“ ist bei Orchestern heute nicht mehr vorstellbar.

Zuletzt dirigierte Kirill Petrenko das Werk 2019 zu seinem Amtsantritt bei den Berliner Philharmonikern. Die Bearbeitungen der „Ode“ lassen sich nicht zählen. Und die Popularität des Stücks ist ungebrochen. Als Gotthilf Fischer vor kurzem die Europahymne mit seinen Chören aufnahm, landete er damit einen Internet-Hit mit mehr als 17 Millionen Youtube-Streams und Zehntausenden Downloads bei Streaming-Anbietern.