Wenn Molotowcocktails und Gehwegplatten von Hausdächern fliegen, ist die Angst kein guter Berater. Mit großem Respekt vor den Gefahren sind die Polizeieinheiten beim G20-Gipfel unterwegs gewesen. Auch Beamte aus Stuttgart.
Hamburg - Molotowcocktails fliegen, ganze Gehwegplatten werden von Dächern geworfen. Ein Vorgesetzter steht in der Nacht zum Samstag, der ersten langen Krawallnacht des G-20-Gipfels, im Hamburger Schanzenviertel. Er schaut seine jungen Kollegen an: „Erst wird es immer ruhiger in der Einheit. Dann kommt die Anspannung. Das sieht man, wenn sich die Gesichter verändern“, schildert er. Viele der jungen Kollegen hätten so etwas wie die Ausschreitungen am Rande des Treffens der Mächtigsten der Welt noch nie erlebt. „Man muss dann für sie da sein als erfahrener Kollege“, sagt der Stuttgarter, der weder seinen Namen noch seine Funktion bei der Polizei in der Zeitung lesen will. Der Kernsatz am Tag danach lautet: „Man ist froh, wenn man als Vorgesetzter alle jungen Kollegen heil wieder nach Hause bringt“, sagt er am Sonntag. Nicht alle hatten Glück: Insgesamt wurden knapp 500 Polizisten in den Einsätzen verletzt, darunter 73 aus Baden-Württemberg.
Er war mit seiner Einheit „immer an den heißen Punkten“, fasst er zusammen, ein trockenes Lachen kommt danach. Kein fröhliches Lachen, sondern ein trockenes, hartes, das gleich wieder erstickt, wenn die Erinnerungen hochkommen. „Wir waren bei der ‚Welcome to hell‘-Demo, als es da abging, und wir waren in beiden Nächten im Schanzenviertel“, berichtet der Polizist. Es wird bei der Polizei nicht gern gesehen, wenn jemand aus den eigenen Reihen unautorisiert berichtet, von den Sorgen und Nöten der Beamten im Einsatz. Aber: Es muss raus aus ihm, und deswegen spricht er fernab von allen Leitungen der Öffentlichkeitsarbeit mit den Medien.
Szenen der Zerstörung aus Hamburg während des G20-Gipfels sehen Sie im Video:
Zuhause vor dem Fernseher weinte die Freundin
Das tut er auch im Namen der jungen Kollegen. „Aber es geht nicht nur um sie, sondern auch um ihre Familien zu Hause. Da steht plötzlich einer vor mir und sagt, er sei verzweifelt: Seine Freundin sitzt zu Hause vor dem Fernseher, sie weint und weint und weint“, berichtet der Polizist. Da ist guter Rat teuer. Trösten, Kraft geben, weitermachen, zusammenhalten: „Wir haben nicht aufgegeben. Wir haben Steine abgekriegt. Wir wurden beschimpft und alles geheißen. Aber nur die Kollegen mit Knochenbruch oder Bänderriss sind raus. Alle anderen haben weitergemacht, trotz Treffer am Kopf oder an den Armen und Händen“, sagt der Beamte. Im Schanzenviertel musste seine Einheit Straßenzüge räumen. Das ging erst, nachdem das SEK die Randalierer von den Dächern und Gerüsten geholt hatte. „Davor war es zu gefährlich, dort durchzugehen.“
Im Gegensatz zu vielen anderen ist für den erfahrenen Beamten die Stufe der Gewalt nicht neu gewesen: „Ich war 2007 beim G-8-Gipfel in Heiligendamm dabei. Die Aggressivität kann man vergleichen. Nur dass es sich damals auf einen Tag konzentriert hat und nicht mitten in der Stadt war.“
Der Stuttgarter bestätigt, was während der endlosen Liveschaltungen am Wochenende nur immer gemutmaßt worden war: „Es flogen Gehwegplatten auf uns. Und Gerüststangen. Das war verdammt gefährlich“, sagt er. Und ja, er habe auch zahlreiche Molotowcocktails fliegen sehen. Steine mit einer Kantenlänge von 15 Zentimetern seien auf die Helme geprallt. Damit nicht genug: In den Feuern, den brennenden Barrikaden, hätten nicht nur Holz, Fahrräder und Unrat gesteckt. „Die haben da Gasflaschen reingeworfen, die es regelrecht zerfetzt hat“, berichtet der Beamte. Man müsse kein strenger Staatsanwalt sein, um das, was da geschehen sei, als versuchten Mord einzustufen.
Kaum waren Angreifer vertrieben, formierten sie sich neu
Angefangen hätten die Ausschreitungen früh am ersten Abend, als sich der Schwarze Block in der „Welcome to hell“-Demo formiert habe: „Wir standen etwas seitlich, wir haben sehr gut gesehen, wie der Block sich gebildet hat“, schildert der Polizist. Die Kritik am Vorgehen der Polizei, sie habe den Demozug zu früh gestoppt, lässt er nicht gelten. „Da flogen eindeutig gefährliche Gegenstände kreuz und quer. Das musste sein, und die Hamburger sind da konsequent.“ Die vertriebenen vermummten Autonomen hätten sich „gleich neu formiert und gingen wieder zum Angriff über“.
Es ist jedoch nicht nur die reine Gewalt, die ihn ärgert. „Man hat gesehen, dass sich manche da ganz frisch eingekleidet hatten: die schwarzen Tücher, die Sonnenbrillen, schwarze Regenjacken, alles war frisch gekauft. Das war Krawalltourismus. Die haben daraus ein Event gemacht. Unvorstellbar“, sagt der Gesetzeshüter. Die Angst ist in diesen Situationen kein guter Begleiter. „Man weiß, dass es gefährlich ist, lebensgefährlich. Angst darf man nicht haben. Aber gewaltigen Respekt vor der Situation.“
Was die Beamten maßlos gestört habe, waren die Schlachtenbummler. „Da holen sich manche ein Bier aus der Kneipe, stellen sich hin und schauen das an, als wäre es ein Happening. Dass die den Gewalttätern dadurch Schutz geben, weil wir uns im Einsatzraum nicht frei bewegen können, haben die nicht kapiert“, sagt der Stuttgarter. Einzelne Schaulustige hätten ihre leer getrunkene Bierflasche irgendwann dann auch geworfen. „Die wissen doch heute schon nicht mehr, warum sie das gemacht haben.“
Die Einsätze waren lang, die Pausen kurz. „Wir waren zwischen 20 und 22 Stunden draußen, dazwischen vier bis fünf Stunden Pause. Die Ausrüstung war klatschnass, alles durchgeschwitzt.“ Ein Vertreter der Gewerkschaft der Polizei weiß von Einheiten, die 56 Stunden lang nicht in ihr Quartier kamen. „Dazu wird man dann auch noch beschimpft. Aber noch viel mehr Bürger haben uns geholfen. Sie brachten Kaffee und öffneten ihre Türen für uns. Das tat gut.“