Die Liste der Verstöße gegen das Pflanzgebot enthält Kurioses. Sogar im Park der Universität sollen 83 Bäume fallen – wegen „vegetativer Übermöblierung“. Die Liste der Verstöße gegen das Pflanzgebot enthält Kurioses. Sogar im Stadtgarten sollen 83 Bäume entsorgt werden – wegen „vegetativer Übermöblierung“. Foto: Archivfoto: Schieferecke

Wer in der Innenstadt einen Baum fällt, muss zwei neue pflanzen. Allerdings hält sich kaum jemand an dieses Gebot. Selbst die rot-grüne Landesregierung scheint die Vorschrift eher für eine Kann- als für eine Soll-Regel zu halten

S-Mitte - Das Zitat ist nicht neu, aber aktuell: „Bäume sind für Architekten nur Dekorationsmaterial.“ So sagte es der Sozialdemokrat Karl-Stephan Quadt während einer Bezirksbeiratssitzung vor etwas mehr als einem Jahr. Wer in der Innenstadt einen Baum fällt, muss zwei neue pflanzen. So ist es in den städtischen Bauvorschriften verankert. Nur hält sich daran niemand, zumindest in der Stadtmitte . Dafür „gibt es etliche Beispiele“, sagt die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle, „sogar, wenn Pflanzungen zugesagt waren“.

Was inzwischen auch die Grünen im Gemeinderat beklagen. Es ist „erstaunlich, wie viele Bauprojekte beschlossen werden, die am Ende die Baumbilanz nicht vorweisen“, schrieb die Fraktion in einem Antrag und fordert Besserung. Als aktuelles Beispiel nennt sie die Breuninger-Pläne für das Dorotheenquartier. Nach dem Willen der Grünen sollen Architekten künftig schon mit ihren Bauplänen eine Bilanz vorlegen, wie viele Bäume weichen müssen und wo Ersatz vorgesehen ist – auf dass der Gemeinderat seine eigenen Regeln für den Erhalt des Grüns gründlicher kontrolliere.

Mit dem Bestand wird ruppig umgegangen

„Schön wäre es“, sagt Kienzle. Beispiele, wie ruppig mit dem in der Stadtmitte raren Bestand umgegangen wird, gibt es in der Tat etliche. Manche davon muten kurios an. So enthalten die Pläne für einen umgebauten Stadtgarten bei der Uni das bemerkenswerte Detail, dass für die Verschönerung des Parks 83 Bäume entsorgt werden sollen, wegen „vegetativer Übermöblierung“. Bescheidener planten die Architekten eine aufgehübschte Marienstraße. Die Bäume dort wollten sie fällen, ebenfalls aus optischen Gründen, und gegen Neupflanzungen ersetzen – allerdings nicht gegen doppelt so viele, sondern gegen weniger.

Auf dem S 21-Gelände war nahe der Stadtbibliothek offiziell ein „Eichenhain“ vorgesehen. Der ist auf 16 Bäume geschrumpft – und zwar Eschen. Wo die Bäume, die mit großem Tamtam wegen des Tiefbahnhofs versetzt wurden, heute stehen, mag die Bahn nicht verraten. Selbst die rot-grüne Landesregierung hält die Pflicht zum Ersatz offenbar eher für eine Kann- als für eine Muss-Regel. Vor dem im April eröffneten Ministeriumsneubau an der Willy-Brandt-Straße fehlen die einst versprochenen Bäume noch immer. Zuvor hatte die Landesregierung – entgegen vorheriger Zusage – an gleicher Stelle abholzen lassen. Rund 80 weitere Bäume werden fallen, wenn das Land den Plan verwirklicht, beim Lindenmuseum eine Berufsakademie zu bauen.

Oftmals protestieren auch empörte Anwohner

Die Reihe ließe sich nahezu beliebig fortsetzen. In jedem einzelnen Fall hatte mindestens der Bezirksbeirat Einspruch eingelegt. Oftmals protestieren auch empörte Anwohner. In der Stadt der Feinstaubrekorde sind die Einwohner empfindsam geworden, wenn es ums Grün geht. Geholfen hat ein solches Veto allerdings höchst selten – beispielsweise im Fall der Marienstraße. Auch der aktuelle Antrag der Gemeinderats-Grünen wird die bisherige Praxis schwerlich ändern.

Diese Vorhersage hat der Bezirksbeirat schriftlich. Er hatte sich eine Liste erbeten, wo in der Stadtmitte die runde Zahl von hundert neuen Bäumen gepflanzt werden könnte. Ganze 43 Standorte fand im Auftrag der Stadt das Büro G 2-Architekten. Abgesehen von schlichtem Platzmangel, verbergen sich die Gründe, die Neupflanzungen verhindern, im Untergrund. Dort verlaufen Kanäle, Wasser-, Strom-, Gas- und Kommunikationsleitungen. Immer häufiger verhindert auch der Wunsch Neupflanzungen, das Auto aus dem Stadtbild zu verbannen. Im Beton von Tiefgaragendächern wurzeln eben keine Bäume.

Ungeachtet solcher Hindernisse gäbe es durchaus Möglichkeiten, meint Kienzle – wenn die Architekten nur wollten: „In Bozen ist ein ganzes Museum um einen Mammutbaum herum geplant worden.“ Auf dem Schlossplatz dagegen soll ein Baum weichen, weil er eine Veranstaltung stört.