Was die Kunden an der Kasse freut, deuten die rund 100.000 Milchbauern in Deutschland als Vorboten einer handfesten Milchkrise, wie sie in den Jahren 2008 und 2009 Tausende Landwirte in echte Existenznöte brachte. Foto: dpa

Es gibt viel zu viel Milch in Deutschland – die Kunden freut’s, die Bauern ächzen unter Billigangebote.

Stuttgart/Berlin - Deutschland steuert auf eine neue Milchkrise zu. Nach den herben Preiseinbrüchen 2008 und 2009 konnten die Landwirte zwei Jahre lang durchatmen. Seit einigen Monaten ist das vorbei. Die Milchpreise sinken wieder auf breiter Front.

Der Discounter Aldi Süd hat jetzt den Anfang gemacht. In den Filialen der Supermarktkette sank der Preis für Butter, Milch und Rahm auf breiter Front. Um vier Cent purzelte der Vollmilchpreis, der von halbfetter Milch um sechs Cent. Das 250-Gramm-Päckchen Butter gab es sogar 14 Cent günstiger als wenige Tage zuvor. Andere Discounter haben mittlerweile nachgezogen und bieten diverse Milchprodukte mit saftigen Abschlägen an.

Preisverfall wie schon lange nicht mehr

Was die Kunden an der Kasse freut, deuten die rund 100.000 Milchbauern in Deutschland als Vorboten einer handfesten Milchkrise, wie sie in den Jahren 2008 und 2009 Tausende Landwirte in echte Existenznöte brachte. „Ein so starker Preisverfall auf einen Schlag hat schon lange nicht mehr stattgefunden“, sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Friedrich Ostendorff, der zugleich stellvertretender Vorsitzender im Landwirtschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses ist. Durch den Schritt habe Aldi einen neuerlichen Dumpingwettbewerb im Milchmarkt in Gang gesetzt, der für die Erzeuger fatal sein könnte. „Für die Bauern ist das ein katastrophaler Preiseinbruch“, sagt er.

Dieser deutet sich indes schon seit längerem an. Bereits seit vergangenem Herbst stehen die Zeichen im internationalen Milchgeschäft auf Sturm. An den deutschen Handelsplätzen für Butter und Käse sind die Notierungen seit damals um bis zu 40 Prozent eingebrochen. Eine Entwicklung, die für gewöhnlich mit einem Zeitverzug von einigen Monaten auch auf die direkt zwischen dem Lebensmitteleinzelhandel bzw. den Discountern und den Molkereien ausgehandelten Lieferverträge durchschlägt. Bereits im vergangenen November mussten die Landwirte hier empfindliche Rückschläge hinnehmen. Der Handel setzte bei den Molkereien unter anderem einen Abschlag von drei Cent bei Trinkmilch durch.

Molkereikonzerne drücken die Preise

Insidern zufolge war es damals der schwedisch-dänische Nahrungsmittel- und Molkereikonzern Arla, der bereit war, zu extrem günstigen Preisen Milchmengen anzubieten, und die Preisfront damit in voller Breite zum Rutschen brachte. Mit Macht strebt der skandinavische Konzern derzeit ins deutsche Milchgeschäft. Erst vergangenen November hat Arla die bayrische Traditionskäserei Allgäuland übernommen.

Bei einer weiteren Verhandlungsrunde Anfang Mai 2012 schlug für die bäuerlichen Erzeuger wieder ein Minus zu Buche, das zu den jetzigen Preissenkungen für die Endkunden bei Aldi. Lidl und Co führte.

Im Hintergrund der jetzigen Entwicklungen stehen neben der Marktmacht der Discounter im halbjährlichen Milchgeschacher preisaggressive Molkereien aber auch ziemlich normale Marktkräfte. Der weltweite Milchmarkt quillt seit Monaten über. In den ersten Monaten des Jahres haben große Milchproduzenten wie die USA, Australien oder Neuseeland ihre Liefermengen beträchtlich erhöht. In Neuseeland wurde fast zehn Prozent mehr gemolken als im Vorjahreszeitraum. Und auch in der EU und in Deutschland stieg die bei den Molkereien angelieferte Milchmenge im Januar und Februar um bis zu vier Prozent gegenüber dem Vorjahr. Aufgrund der Überproduktion sackten die Notierungen im internationalen Milchhandel Mitte April um ein Zehntel ab – ein Absturz.

2012 werden die Preise weiter abstürzen

Von überall her geraten daher nun die Erzeugerpreise, die die Landwirte bei den Molkereien erzielen, unter Druck. Im März – also noch vor den jüngsten Preiseinbrüchen – bekamen die baden-württembergischen Landwirte nach Daten der Landesanstalt für Entwicklung der Landwirtschaft (Lel) 33 Cent für den Liter hochwertige Vollmilch.

Im Norden der Republik waren es deutlich weniger. „Wir nähern uns bei den Erzeugerpreisen bundesweit den 30 Cent“, sagt Hans Foldenauer, Sprecher des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BdM). Aktuell sei das Preisniveau für die Erzeuger zwar noch nicht existenzbedrohend, allerdings liefen die Betriebe „schon in Liquiditätsengpässe hinein“.

Kurzzeitige Erscheinung oder Dammbruch?

Tatsächlich ist der aktuelle Milchpreis noch weit von den krassen Tiefständen der Jahre 2008 und 2009 entfernt, als pro Liter in Deutschland – der mengenmäßig bedeutendsten Milchnation Europas – nur noch 22 Cent erlöst wurden und die EU mit eigentlich längst eingemotteten Stützungsmaßnahmen ein breites Bauernsterben verhinderte.

Die Frage ist, ob es sich bei dem Preisrutsch nur um eine kurzzeitige Erscheinung handelt, wie der Deutsche Bauernverband (DBV) meint, oder um einen Dammbruch, wie es der DBV-Gegenspieler BdM sieht. „Ich befürchte, dass wir im Herbst Milchpreise zwischen 25 und 27 Cent haben werden“, sagt BdM-Sprecher Foldenauer. Einen Literpreis von mindestens 40 Cent hält er für die Bauern für auskömmlich. „Da beginnen wir gerade mal durchzuatmen.“

Die auf Marktanalysen spezialisierte Lel kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. „Es ist wahrscheinlich, dass das Jahr 2012 von Preisabschwüngen bestimmt sein wird“, sagt Lel-Milchmarktexperte Richard Riester. Das Ausmaß der Entwicklung sei aber schwer abzuschätzen. Mit Besserung für die Bauern rechnet der Fachmann ab 2013.