Flemming Puthenpurayil achtet bei seinem Unterricht besonders intensiv auf die Körperspannung und die Haltung der Ballettschülerinnen. Foto: Werner Kuhnle

Die Schülerinnen des Ballett Atelier Boos in Marbach kamen in den Genuss einer besonderen Unterrichtungsstunde. Sie wurden von Profitänzer Flemming Puthenpurayil angeleitet, der als Halbsolist beim Stuttgarter Ballett engagiert ist.

Knisternde Anspannung und Vorfreude liegen in der Luft. Schließlich gibt es auch beim Ballett Atelier Boos in Marbach nicht jeden Tag Starrummel: Angekündigt hat sich für diesen Freitagnachmittag nämlich die Tänzerin Daiana Ruiz, Mitglied des Corps de Ballet des Stuttgarter Balletts, bei dem sie mit Beginn der Spielzeit 2022/23 zur Solistin befördert wurde.

Männliche Lehrer gibt es sonst nicht im Ballett Atelier

Auch Natalie Muth bleibt von der Aufregung, die dieses Wissen mit sich bringt, nicht ganz verschont. Seit 2018 ist sie Inhaberin des traditionsreichen Ballett Ateliers, das sie von Susanne Boos übernommen hat. „Es ist für unsere Schüler ein Highlight“, so Natalie Muth, die gut versteht, dass ihre Eleven – die Ballettschüler – heute „ganz schön nervös sind, weil sie mit einem Profi zusammenarbeiten dürfen“. Dass es überhaupt dazu kam, liegt an Trainerin Maria Vorontsova, die üblicherweise den Unterricht leiten würde, wäre sie an diesem Tag nicht verhindert. „Sie hat heute selbst eine Aufführung“, erklärt Natalie Muth. Vorontsova und Ruiz kennen sich vom „Lehrerdasein“ und so wollte Maria Vorontsova ihre Schützlinge der in Stuttgart tanzenden Kollegin anvertrauen. Doch von ihr fehlt bis kurz vor der vereinbarten Zeit noch jede Spur . . .

Was Natalie Muth nämlich nicht weiß: Auch Daiana Ruiz ist inzwischen verhindert und hat ihren Tänzer-Kollegen Flemming Puthenpurayil gebeten, die Marbacher Schülerinnen zu unterrichten. Als die Tür zum Atelier schließlich aufgeht, steht ein großer, schlanker Mann im Raum. Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer unter den fünf Ballettschülerinnen, die jetzt nicht minder nervös sind und im Übungssaal auf den Gast warten: „Wir haben hier ja keine männlichen Lehrer“, erklärt etwa Schülerin Katrin Andraschko die neue Situation, die sie durchaus „etwas aufregend findet“. Auch wisse sie nicht, welche Übungen gemacht werden. Zwar hätte die 29-jährige Schülerin aus Marbach die Stuttgarter Solistin schon gerne kennengelernt, aber ein Problem ist der „Personalwechsel“ für sie deshalb noch lange nicht.

„Er kennt unsere Fehler ja noch nicht“

Innerlich fiebrig zeigen sich auch die beiden Ballettschülerinnen Clara (13 Jahre) aus Neckarweihingen und Zoë (14 Jahre) aus Benningen. „Aber wir freuen uns auch schon sehr“, sagen sie fast unisono. Doch Zoë schränkt ein: „Ich denke dass es schon schwerer sein wird, als sonst. Und er kennt uns und unsere Fehler ja noch nicht.“

Doch als der Unterricht schließlich schnörkellos und ohne langatmige Vorstellung startet, macht Flemming Puthenpurayil, der indische Wurzeln hat und in Wien geboren wurde, wo er seine Ausbildung an der Ballettakademie der Wiener Staatsoper begann, unaufgeregt und per Du klar: „Ihr könnt jederzeit Fragen stellen.“ Der Tänzer ist als Halbsolist beim Stuttgarter Ballett engagiert und achtet, wie sich herausstellt, besonders intensiv auf die Körperspannung.

Die Bewegung muss ausgekostet werden

Schon ertönt Klaviermusik und es regnet französische Begriffe, die den Marbacher Tänzerinnen freilich bekannt sind. Ballett-Anweisungen wie etwa Fondu, Frappé, Jeté, Tendu, Port de bras oder Plié – das ist die Kniebeuge – ertönen aus dem Munde Flemmings und wechseln sich immer wieder ab. Sie bringen anmutige Bewegung in den Saal, der natürlich auch mit einem großen Spiegel ausgestattet ist. Das hilft Trainer Flemming sogar Korrekturen anzubringen, wenn er mit dem Rücken zum Geschehen steht. Der Spiegel verrät es: „Den Kopf nicht so sparsam biegen, kostet die Bewegung wirklich aus“, lautet deshalb sein Rat, der die Tänzerinnen etwas verwundert dreinblicken lässt.

Es geht weiter mit den Aufforderungen: „Der Rücken ist das A und O, versucht ihn stabil und gerade zu halten. Schulterblätter zurückziehen.“ Und Mister Körperspannung versteht es, die entschlossen, aber freundlich formulierten Korrekturen und Erwartungen mit eindrücklichen Bildern zu kombinieren. So wird den Eleven klar, auf was sie bei ihren geschmeidig aussehenden Übungen, die jedoch anspruchsvoll für die Beine sind, achten sollen: „Denkt, dass der Boden euch entgegenkommt. Und beim Hochgehen drückt ihr den Boden gedanklich mit den Beinen wieder herunter.“

Als die Musik Tempo aufnimmt, werden die Übungen schneller und rhythmischer. Bei den Jetés „schlagen“ die Beine graziös aus und schließen sich zackig hin zum Standbein. Auch hier wieder die Erinnerung: „Haltet Schulter und Hüfte stabil, nicht den ganzen Oberkörper mitgehen lassen.“ Die erfolgreiche Umsetzung wird von Puthenpurayil natürlich auch gewürdigt. „Ja, schon viel besser“, motiviert er die jungen Frauen, die er zudem auffordert, den Unterschied zu spüren. Der Meister des Körpergefühls versteht seine Botschaft zu transportieren. „Die Übungen waren leichter, aber es wurde heute viel mehr auf Perfektion geachtet“, lautet das abschließende Urteil der Tänzerinnen – die sehr zufrieden aussehen.