Ein Großteil der unterirdischen Streckenführung ist bereits ausgeschachtet und mit Beton gesichert Foto: Annegret Jacobs

Die Bahntrasse im Zuge von Stuttgart 21 nimmt auf den Fildern immer mehr Form an. Einer, der Strecken wie diese aus Leidenschaft baut, führt über die Baustelle.

Filder/Plieningen - In der Unterwelt Plieningens ist seit nunmehr knapp zwei Jahren richtig was los. Die Bauarbeiten für Stuttgart 21 bringen das Erdreich mächtig in Bewegung. Heinz-Georg Haid ist einer der dafür Verantwortlichen, quasi der Obermaulwurf. Der Bauingenieur aus Karlsruhe ist für die Tunnelarbeiten des Bauabschnitts 1.3 zuständig. Dieser zieht sich entlang der Südgrenze des Bezirks Stuttgart-Plieningen.

 

Die Tunnel verbinden den unterirdischen Regional- und Fernbahnhof am Stuttgarter Flughafen mit der Neubaustrecke von Stuttgart nach Ulm. Insgesamt 3,5 Kilometer Tunnelstrecke, verteilt auf zwei parallel geführte Röhren, werden bald in 30 Metern Tiefe unter dem Filderboden verlaufen. Ein Großteil dieser unterirdischen Streckenführung ist bereits ausgeschachtet und mit Beton gesichert. Drei Meter, wenn es gut läuft auch knapp fünf Meter, fressen sich die Bauarbeiten pro Tag durch das Erdreich.

Drei bis fünf Meter fressen sich die Arbeiten am Tag durchs Erdreich

Heinz-Georg Haid steht an diesem sonnigen Herbsttag vor der Baugrube, direkt neben der A8. Zumeist arbeitet der Teamleiter für die Flughafenanbindung von seinem Projektbüro in der Stuttgarter Innenstadt aus. Doch er ist regelmäßig auf der Baustelle vor Ort. „Vieles kann man über das Telefon machen“, sagt er. Doch nicht alle Fragen der Bautrupps lassen sich per Fotodiagnose klären. „Oft ist es doch notwendig, dass ich mir eine Stelle selbst anschaue, um zu entscheiden, wie es weitergeht.“

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Wer den Anfangssechziger in Warnweste und Helm vor der Grube mit den offenen Tunnelröhren stehen sieht, das Bosch-Parkhaus nur einen Steinwurf entfernt, der muss viel Fantasie aufbringen, um sich vorzustellen, dass im Idealfall schon im kommenden Frühjahr die Baugrube wieder zu ist. „Wir planen den Lückenschluss für Februar 2022“, bestätigt Haid.

An dieser Stelle, parallel zum Verlauf der A8, soll später die Neubaustrecke der Bahntrasse von Stuttgart nach Ulm verlaufen. Die Rohbauarbeiten dazu sollen 2023 abgeschlossen sein. „Und 2025 sollen hier Züge fahren“, sagt Haid und deutet auf das Areal vor ihm, auf dem sich rings um die Grube herum derzeit ein gigantischer Abstellplatz für Baumaschinen und sonstiges Gerät befindet.

Klagen von Projektgegnern abgewiesen

Seit sieben Jahren arbeitet Haid im Planungsstab für diesen Streckenabschnitt. Regelmäßig Erde und Schlamm unter den Gummistiefeln hat der Bauleiter jedoch erst seit Frühsommer 2020. Am 18. Juni hatte das Bundesverwaltungsgericht Klagen von Projektgegnern in letzter Instanz abgewiesen. „Am Tag darauf haben wir hier angefangen, die Tunnel zu graben.“ Weiter äußert sich Haid nicht über das jahrelange gerichtliche Tauziehen zwischen Bahnkonzern und S21-Gegnern. Nur als die Rede auf mögliche Überraschungen während der Tunnelarbeiten kommt, da lacht er laut. „Überraschungen? Die gibt es aus bautechnischer Sicht nicht. Es ist alles gut durchgeplant, und die alltäglichen Probleme lösen wir im Team.“ Man habe einen Plan gemacht, und den arbeite er kontinuierlich ab. Es sei vielmehr das Baurecht gewesen, schiebt er nach, das für Überraschungen im ganzen Prozess gesorgt habe.

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Anfang des Jahres hat die Rhein-Zeitung aus Koblenz ein Porträt über Heinz-Georg Haid veröffentlicht. Darin wird der gebürtig aus einem Eifeldorf unweit des Nürburgrings Stammende als Macher dargestellt. Der Vater Maurermeister, um die Ecke eine Autowerkstatt, ebenfalls in Reichweite: der Nürburgring. Das Technische, das Bauen, das Anpacken, das Probleme-Lösen – so liest es sich zumindest – hat der Tunnelbauer quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Und wenn er nicht danach gefragt wird, so bringt es Haid von selbst ins Gespräch: Seine erste große Baustelle, bereits kurz nach dem Studium, war seine Mitwirkung am Bau des Berliner Innenrings, besonders am S-Bahnhof Gesundbrunnen. Danach: Arbeit am Bau des Katzenbergtunnels in Südbaden auf der Ausbau- und Neubaubahnstrecke Karlsruhe-Basel. Mit mehr als neun Kilometern Länge kurz nach dem Fildertunnel der viertlängste Zweiröhrentunnel in Deutschland. Logisch, dass sich Haid für Stuttgart 21 beworben hat. Großprojekte seien einfach faszinierend.

Flughafentunnel wird bergmännisch gebaut

Mittlerweile hat der Bauleiter seinen Aussichtsposten über der Grube verlassen und stapft durch eine der beiden Tunnelröhren in Richtung des künftigen Flughafenbahnhofs. Trotz des klaren Herbsttages draußen: Im Tunnel scheinen Nebelschwaden zu hängen. „Das kommt von der Spritzbetonmaschine vorne an der Ortsbrust“, erklärt Haid. Nachdem ein Streckenabschnitt frei gesprengt worden ist, wird er umgehend durch das Auftragen von schnell bindendem Spritzbeton und mit Bewehrungsstahl gesichert. Daher die Feuchtigkeit und die Partikel in der Luft im Tunnel.

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Der Flughafentunnel auf den Fildern wird in der bergmännischen Bauweise gebaut. Im Katzenbergtunnel dagegen konnte Haid mit Vortriebsmaschinen und Tübbingringen arbeiten. Diese riesigen Maschinen bohren vorne das Tunnelloch und montieren hinten die vorgefertigten Tübbingringen zur fertigen Tunnelröhre. Kein Sprengen, kein Spritzbeton ist notwendig. „Der moderne bergmännische Vortrieb ist schon faszinierend, mit welcher Präzision da gearbeitet wird. Wenn die Mannschaft eingespielt ist, dann geht das wie das Brezelbacken.“ Haid gerät für einen Moment ins Schwärmen.

Der Zeitplan

Knotenpunkt
Der erste Abschnitt der Landesstraße 1204 wurde bereits im Februar 2021 in Betrieb genommen, erklärt die Deutsche Bahn. Ende des Jahres 2021 sei die Inbetriebnahme der Ausfahrrampe BAB A8 geplant. Im Anschluss folgen mehr als ein Dutzend weiterer Bauphasen mit dem Ziel, die komplette Anschlussstelle Plieningen inklusive Südumgehung und Landesstraßen 2023 in Betrieb zu nehmen.