Nicht so romantisch: Mistel sind zur Plage geworden. Foto: dpa/Uli Deck

Im englischsprachigen Raum ist der Brauch des Küssens unter den Zweigen bekannt. Doch hierzulande sind Misteln mancherorts eine Plage für Obstbauern geworden. Welche Regionen besonders betroffen sind.

Die vielen grünen Blätter an den Apfelbäumen sollen so nicht sein, nicht jetzt kurz vor Ende des Jahres. Sie gehören auch nicht direkt zum Apfelbaum. Misteln machen sich hier auf den Streuobstwiesen von Stefan Bosch in Sternenfels breit - gelegen zwischen Karlsruhe und Heilbronn. Von einer Katastrophe spricht er. Rund 50 Obstbäume hat Bosch. Vor allem der Apfel sei befallen. Ein bisschen auch die Kirsche. „Birne galt lange als mistelresistent“, sagt er. „Das ist nicht mehr so.“ Nur die Walnuss habe noch nichts.

Misteln gelten als Symbol des Friedens, der Liebe und – weil sie immergrün sind – des ewigen Lebens. Asterix-Fans kennen sie, weil Druide Miraculix sie für seinen Zaubertrank braucht. Und gerade in Weihnachtsliedern wird romantisch unterm Mistelzweig geknutscht.

Doch für Naturschützer und Obstbauern sind Mistel Halbschmarotzer: Zwar betreiben sie selbst Photosynthese, mit Hilfe von Saugwurzeln wachsen sie aber auf anderen Gehölzen und entziehen ihren Wirten Wasser und Nährstoffe. Bei Apfelbäumen kann das nach Angaben der Naturschutzorganisation Nabu Wucherungen und krebsartige Schäden hervorrufen. Manchmal brechen Äste unter der Last ab. Entfernt man die Misteln nicht, geraten ganze Baumbestände in Gefahr.

Diese Teile Deutschlands sind besonders betroffen

In Regionen Süd- und Mitteldeutschlands sind Misteln regelrecht zur Plage geworden. Aber auch Norddeutschland hat die Mistel erreicht. Seit den 1990er Jahren breitet sie sich stark aus. Vor 20 Jahren habe er einen Mistelbusch gehabt, berichtet etwa Stefan Bosch, der im Nabu-Landesverband Baden-Württemberg auch Fachbeauftragter für Ornithologie und Vogelschutz ist. „Den habe ich als Besonderheit gezeigt.“ Inzwischen seien manche Bäume unter den Misteln in die Knie gegangen. Rund 400 Bäume nur im Ortsteil Diefenbach seien befallen.

Die starke Ausbreitung erklärt der Nabu vor allem mit dem Klimawandel: Er begünstige Vogelarten, die Misteln verteilen. Sommerhitze und Trockenstress schwächten zudem die Wirtsbäume. Hobbymäßig betriebene Streuobstwiesen würden darüber hinaus häufig auch zu wenig gepflegt, um der Mistel wirklich Herr zu werden.

Adventsdeko für Naturschützer

„Man müsste jetzt eine große Aktion machen und dann kontinuierlich nachlegen“, sagt Bosch. Misteln stünden – anders als oft angenommen – nicht unter Naturschutz und könnten abgeschnitten und zum Beispiel als Adventsdeko genutzt werden. So könnten die Misteln im besten Fall ein Stück weit zurückgedrängt werden, sagt er.

Doch das ist Arbeit: Gut ein bis zwei Stunden kalkuliert Bosch pro Baum. „Man muss reinklettern und schauen, dass man auch jeden kleinen Spross erwischt“, erklärt er. „Sonst kommen die im nächsten Jahr.“

Zur Verbreitung bildet die Mistel klebrige, weiße Scheinbeeren. Die können an Vogelschnäbeln haftenbleiben und werden beim Reinigen an der Wirtspflanze abgestreift - oder gelangen über Vogelkot auf die Rinde eines Wirtsbaumes. Drossel- und Rabenvogelarten, Kernbeißer, Star, Seidenschwanz, Meisen, Distel- und Buchfink, Rotkehlchen, Goldammer und Kleiber ernähren sich von den Beeren. Diese können sich aber auch lösen und auf Äste unter ihnen „tropfen“.

So wachsen die Pflanzen

Das Andocken an die Leitungsbahnen der Wirtspflanzen dauert laut Nabu rund ein Jahr. Misteln können dann bis zu 70 Jahre alt werden. Werden sie im Sturm abgerissen, sterben sie nicht ab, wie Garten-Fachleute der Universität Hohenheim berichten. Sie wachsen aus ihrem Stumpf nach. Jedes Jahr verzweigen sie sich beim Wachsen einmal, sodass man an der Zahl der Gabelungen ihr Alter ablesen kann. Auf diese Weise können sich bis zu einem Meter große, kugelige Büsche bilden.

Die Experten geben auch Auskunft über die Bräuche rund um Misteln: Um Unheil abzuhalten, sollte man demnach die Mistel stets so aufhängen, dass sie den Boden nicht berührt - vornehmlich über Türen. „Denn wo Menschen aus- und eingehen, kann auch das Glück oder Unglück hereinkommen.“ Anfang des 18. Jahrhunderts sei in England und Frankreich der Brauch entstanden, Mädchen unter Misteln zu küssen. Nach jedem Kusstreffen sollte eine Beere gepflückt werden. „Erst, wenn der Zweig vollständig abgepflückt ist, ist die Küsserei vorbei.“

Diese heilenden Kräfte sollen die Pflanzen haben

Auch Heilkräfte werden der Mistel zugesprochen. Die Nonne und naturkundige Universalgelehrte Hildegard von Bingen sei davon überzeugt gewesen und habe die Pflanze bei Lebererkrankungen empfohlen, wissen die Hohenheimer zu berichten. „Heute werden Mistelpräparate zur Senkung des Blutdrucks oder in der begleitenden Behandlung von Krebs eingesetzt.“ Manche Insektenarten wie hochgradig gefährdete Wanzen sind auf die Laubholzmistel angewiesen, mahnt der Nabu. Daher sollten vor Bekämpfungsmaßnahmen nach Möglichkeit Insektenkundler zurate gezogen werden.

Die Forschung zur den Ursachen der Ausbreitung, möglichen Zusammenhängen mit bestimmten Obstsorten oder auch Schwermetallen im Boden steht noch am Anfang. Was Wissenschaftler aber schon wissen: Einige Gehölze entwickeln laut Nabu Strategien gegen Misteln. So sterbe bei Birnbäumen erst das Gewebe im Umkreis der Keimungsstelle ab - und schließlich auch der Halbschmarotzer selbst.