Trotz bestem Wetter hat das Deli hat seine Terrasse reduziert – Grund ist der Personalmangel. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Endlich Sonne, endlich keine Corona-Verbote, endlich Leichtigkeit: Das gute Wetter und der VfB-Sieg treiben die Menschen am Samstagabend massenhaft in die Stadt. Doch mancher Gastronom steht bereits vor neuen Schwierigkeiten.

Das einfache „Prost“ wird zu einem langen, inbrünstigen „Oooh ja, der VfB!“. Zwölf Männer haben sich an einer langen Tafel vor dem Paulaner am alten Postplatz niedergelassen, und die Zeichen stehen am Tisch auf Feiern. Es ist 19 Uhr, der VfB bleibt erstklassig, das Wetter ist sommerlich, die Drinks sind kalt. „Heute ist alles perfekt“, ruft Steffen Hafner (47) in die Runde.

Gastronomisch gesehen scheint der Samstagabend wirklich makellos. Der Biergarten vor dem Paulaner ist schon seit dem Mittag dauerbelegt, sagt der Restaurantleiter Florian Frey. Er rechnet mit einer langen Nacht. „Das ist echt wieder schön, die Leute sind gut drauf.“ Nach den harten Auswirkungen der Pandemie sei dies wohltuend. „Ich versuche, das C-Wort zu vermeiden“, sagt er. Nur: Ganz ausblenden kann er Corona nicht, denn die eine Krise hat die Branche in eine nächste gestürzt. Viele Gastronomen leiden unter akutem Personalmangel, und das gerade jetzt, wo die turbulente Außensaison beginnt. Auch im Paulaner wird Verstärkung gesucht, im Service und für die Theke. „Das Hauptproblem ist: Viele sind durch die zwei Lockdowns aus der Gastronomie abgewandert“, sagt Florian Frey.

Die Gäste kommen in Scharen

Die Gäste indes, die kommen in Scharen. Lisa und Michelle, beide 35, sind an diesem Samstag extra aus Achern nach Stuttgart gekommen, um ins Musical, essen und dann tanzen zu gehen. „Das erste Mal seit Corona“, sagt Lisa, während vor dem Il Pomodoro am Wilhelmsplatz die Drinks serviert werden. Die Terrasse ist voll. Doch auch hier herrscht Personalmangel. „Das ist zu 100 Prozent so“, sagt Stefan Reim, der das Lokal mit seiner Frau betreibt. In der Pandemie hätten sich einige Mitarbeiter selbstständig gemacht oder die Branche gewechselt. „Da war vorher schon klar gewesen, Corona hat es natürlich beschleunigt“, erklärt er. Effekt: Das Personal ist knapp, und wenn dann noch jemand krank wird, wird es schwierig. „Vor zwei Wochen mussten wir Freitagabend und Samstag zumachen, weil vier Mitarbeiter ausgefallen sind.“

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Dem Hotel- und Gaststättenverband Dehoga ist das Problem bekannt. „Der Beschäftigtenmangel ist tatsächlich weiterhin eines der großen Themen im Gastgewerbe und wurde durch die Pandemie deutlich verschärft“, sagt Tobias Zwiener aus der Geschäftsführung. Durch die Lockdowns hätten viele der Branche den Rücken gekehrt. Das zeigen Zahlen, die er vorlegt. Waren im Gastgewerbe in Baden-Württemberg Mitte 2019 noch 137 377 sozialversicherungspflichtig und 156 666 geringfügig Beschäftigte tätig gewesen, waren es Ende September 2021 nur noch 125 493 beziehungsweise 146 040. Allerdings: „Manche der leidenschaftlich engagierten Beschäftigten haben durchaus auch den Weg zurück in die Branche gefunden.“

Kellner und Barpersonal dringend gesucht

Stefan Reim hofft im Il Pomodoro auf solche Leute. Drei bis vier Personen bräuchte er, in erster Linie Kellner und Barpersonal. „Wir suchen auf allen Kanälen“, sagt er, sogar die Akquise in Italien habe man probiert. Personal sei im Augenblick rar, gutes Personal umso mehr. Dabei hoffen Stefan Reim und sein Kollegen nach den Monaten des Darbens auf einen guten Sommer mit tollem Wetter. „Ja, natürlich macht das jetzt Spaß. Es ist alles wieder lockerer geworden“, sagt er. Der starke Frühling lässt schon mal hoffen. „Die Stadt ist immer voll“, sagt Philipp Hettler, einer der Geschäftsführer der Bar Marshall Matt. Zwar bezeichnet er die Personalausstattung in seinem Lokal als „okay“, doch auch er habe zuletzt ab und an hinter der Theke aushelfen müssen. „Sonst keine Chance“, sagt er. Nicolin Weymann, die Chefin des Deli am Hans-im-Glück-Brunnen, hat aktuell den Umfang ihrer Terrasse reduziert. Grund auch hier: Personalmangel. Man könne die Gäste schließlich nicht eine Stunde aufs Getränk warten lassen. „Händeringend“ suche sie – per Schild an der Theke, per Social Media, auf Portalen. „Von den Aushilfen sind viele in den Testzentren, weil die ganz anders bezahlen durch die Gefahrenzulage“, sagt sie.

Die duale Ausbildung stärken

Allerdings: Es gibt auch Gastronomen, die andere Erfahrungen machen. „Tatsächlich sind wir vom Personalmangel verschont“, sagt der Serviceleiter im Breitengrad 17. Namentlich in der Zeitung in Erscheinung treten will er nicht, wie man es hier oder auch im Schwester-Restaurant Citizen Long schafft, nicht in puncto Personal leerzulaufen, erklärt er dennoch bereitwillig. „Wir haben ein internes Netzwerk mit vielen studentischen Mitarbeitern.“ Die brächten stets Kommilitonen oder Freunde mit. Das A und O sei, frühzeitig zu sprechen, falls sich ein Engpass abzeichne.

Beim Dehoga sieht man Handlungsbedarf. „Wir gehen nicht davon aus, dass alle Beschäftigten wieder zurückkehren werden, so dass es mittelfristig darum gehen wird, die Ausbildungstätigkeit zu erhöhen“, sagt Tobias Zwiener. Auch müsse es gelingen, den gesellschaftlichen Stellenwert der dualen Ausbildung zu stärken. Zusätzlich werde es darum gehen, über eine Fachkräfteeinwanderung Beschäftigte zu gewinnen. Eine Chance sieht er etwa für ukrainische Geflüchtete, denn erfahrungsgemäß sei das Gastgewerbe „eine ideale Branche für Beschäftigte aus dem Ausland, mit hoher Integrationswirkung“.