Schreinermeister Gerd Kopf hat seinen Azubi Thomas Fadini gerne ins Ausland geschickt. „Betriebe sollten Geist und Größe besitzen, ihren Azubis gehen zu lassen“, findet er Foto: Peter-Michael Petsch

Schreinern in Irland, als angehende Industriekauffrau in Österreich Erfahrungen sammeln: Wenn Betriebe ihre Azubis ins Ausland schicken, ist das noch immer etwas Seltenes in Deutschland.

Schreinern in Irland, als angehende Industriekauffrau in Österreich Erfahrungen sammeln: Wenn Betriebe ihre Azubis ins Ausland schicken, ist das noch immer etwas Seltenes in Deutschland.

Stuttgart - Für den Schreinerlehrling aus Stuttgart hat der irische Schreinerbetrieb extra eine Staubmaske samt Gehörschutz gekauft. Zum Glück. Nachdem Thomas Fadini (22) von der Firma Kopf in der Stadt Tralee angekommen war, um dort vier Wochen zu leben und zu arbeiten, war er baff. „In der Schreinerei war es chaotisch und staubig“, sagt Fadini. Sogar ein Boot habe in der Halle gestanden. Schutzkleidung? Gab es in dem Zwei-Mann-Betrieb nicht. Seinen neuen Chef habe es zudem erstaunt, dass Fadini alle Maschinen bedienen kann. Trotz des ersten Schocks hat sich der Azubi aus Stuttgart in Irland sehr wohlgefühlt. Er konnte sein Wissen einbringen, lernte aber auch Neues. Zum Beispiel baute er Treppen. Und er arbeitete viel mit anderem Holz. „Bei uns ist Buche das billigste Holz, dort Eiche.“

Für Fadini und seinen Chef Gerd Kopf ist der Gewinn des Auslandsaufenthalts klar: „Thomas kam sehr motiviert zurück“, sagt sein Chef. „Man lernt seinen Betrieb erst richtig schätzen“, ergänzt Fadini. „Für mich war es vorher nichts Besonderes, dass die Werkstatt einmal in der Woche geputzt wird, sogar mit dem Staubsauger.“ Jetzt schätzt er Sauberkeit und Ordnung mehr denn je. Kopf findet es wichtig, seine Azubis ins Ausland zu lassen. „Mal rauszukommen tut ihnen gut. Sie bringen neues Engagement mit.“

Azubis wie Fadini arbeiten in ausländischen Betrieben allerdings selten. Landesweit war 2013 knapp ein Prozent der rund 200 000 Azubis im Ausland: Das EU-Bildungsprogramm „Leonardo da Vinci“ förderte 1689 Auslandsaufenthalte. Damit hat sich der Anteil seit 2009 mit 519 Aufenthalten mehr als verdreifacht. Im Vergleich zu anderen Bundesländern liegt der Südwesten bei den Leonardo-geförderten Aufenthalten an vierter Stelle – nach Nordrhein-Westfalen (3987), Bayern (2388) und Niedersachsen (1775). Deutschlandweit gehen vier Prozent der Azubis ins Ausland. Das entspricht 30 000 Teilnehmern. 2009 waren es nur halb so viele.

Wie viele Azubis insgesamt ins Ausland geben, ist nicht bekannt. Konkrete Zahlen gibt es keine. Unternehmen müssen Auslandsaufenthalte nicht melden. Zudembeansprucht nicht jede Firma ein Förderprogramm. Aufenthalte über „Leonardo da Vinci“ machen laut der Nationalen Agentur Bildung für Europa mehr als 90 Prozent der öffentlich geförderten Auslandsaufenthalte und mehr als die Hälfte aller Auslandsaufenthalte aus.

Dass Azubis ins Ausland gehen können, wissen viele Unternehmen nicht

Vier Prozent – das sind Politik und Wirtschaft zu wenig. Laut Koalitionsvertrag sollen sich bis 2017 acht Prozent der Azubis im Ausland fortbilden. Der Deutsche Bundestag peilt sogar zehn Prozent an. Viele Programme, an denen sich EU, Länder, Handwerks- sowie Industrie- und Handelskammern beteiligen, helfen Firmen, Aufenthalte zuorganisieren und zu finanzieren (siehe Infokasten). Das Landes-Projekt „Go for Europe“ wurde bis Ende 2014 verlängert.

Viele Firmen wissen nicht, dass Azubis ins Ausland gehen können. Auch die Programme sind vielen noch unbekannt. Andererseits verzichten vor allem kleine Betriebe meist ungern auf den Lehrling. Berthold Hübers von der Nationalen Agentur kritisiert ein Missverhältnis zwischen Anspruch und Realität: „Firmen stellen hohe Anforderungen an die Lehrlinge, sind aber nicht bereit, sie ins Ausland zu schicken.“ Dennoch weiß er: „Anders als ein Student kann ein Azubi nur mit der Erlaubnis von Betrieb und Berufsschule ein Praktikum machen.“ Hinzu kommt, dass kleine und mittelständische Firmen oft lokal oder regional verankert sind. Das Ausland spielt für sie eine untergeordnete Rolle. Anders als Konzerne haben sie keine Standorte im Ausland.

Franziska Panter, Projektleiterin bei „Go for Europe“ und zuständig für Azubis im Handwerk, stellt aber bei Firmen in der Sanitärbranche, bei Schreinern oder Friseuren viel Interesse fest. „Für solche Branchen ist der Mehrwert sichtbarer. Sie können zum Beispiel Trends mitnehmen.“

„Die Firmen öffnen sich zunehmend“, sagt Daniela Arnold, beim Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertag Projektleiterin bei „Go for Europe“. Aus Sicht von Schreinermeister Kopf haben das besonders Handwerksbetriebe nötig. „Gegenüber der Industrie hat es das Handwerk schwer. Azubis sind rar, Fachkräfte aus dem Ausland werden auf uns zukommen. Man muss seinen Betrieb attraktiv machen.“

Azubis kehren selbstständiger aus dem Ausland zurück

Das merkt auch der Esslinger Pneumatikspezialist Festo. Immer wieder fragenBewerber nach Praktika im Ausland, sagt Ausbildungsleiter Stefan Dietl. Sein Ziel ist es, 20 Prozent der Azubis eines Jahrgangs ins Ausland zu schicken, die dort in Projekten mitarbeiten. Pro Jahr nutzen das zehn bis zwölf Lehrlinge. Nicht nur ihre sprachlichen Fähigkeiten verbessern sich. „Azubis sind danach auch offener für andere Kulturen“, sagt Dietl.

Wie Kerrin Jürgensen. Die 23-Jährige wird bei Festo zur Industriekauffrau ausgebildet. Sie arbeitete vier Wochen in Wien. Warum? „Ich reise gerne.“ Die Österreicher seien beim Arbeiten lockerer als die Deutschen. Und sie fingen nicht vor 9 Uhr damit an. Jürgensen beginnt zwischen 7 und 7.30 Uhr. „Es war toll, morgens plötzlich so viel Zeit zu haben“, sagt Jürgensen, die noch bei ihren Eltern wohnt. „Allein in einem Apartment zu wohnen fand ich spannend.“

Auslandsaufenthalte tragen auch zur Persönlichkeitsentwicklung bei, sagt Andreas Schneider, Ausbildungsleiter beim Ditzinger Maschinenbauer Trumpf. „Die jungen Leute kehren viel selbstständiger zurück. Sie müssen putzen, einkaufen, kochen und Wäsche waschen. Mama erledigt nichts.“ Trumpf schickt im Jahr bis zu 15 Prozent der 350 Azubis nach Österreich und in die Schweiz. Und noch etwas stellt Schneider fest: Bei ihren Übernahmegesprächen werden die Azubis gefragt, ob sie sich vorstellen können, im Ausland zu arbeiten. „Wer bereits im Ausland war, ist eher bereit, wieder ins Ausland zu gehen“, sagt Schneider.

Das trifft auf Thomas Fadini und Kerrin Jürgensen zu. „Mich reizt es, in Kanada eine Blockhütte zu bauen“, sagt der 22-Jährige. Kerrin Jürgensen geht bald wieder nach Wien. „Ich sagte, dass ich gerne wiederkommen würde. Es ist schön, dass mir die Kollegen dort Vertrauen schenken.“