Die iranische Fußballerin Saedeh Ahmadi (rotes Trikot) spielt wie ihre Teamkolleginnen mit Kopftuch und langen Hosen. Foto: AFP

Bei einer engagierten Diskussion gewinnen die Teilnehmerinnen der Auftaktveranstaltung zu dem Projekt aktiF – aktiv integrativ – Frauen im Verein in Göppingen überraschende Erkenntnisse. Etwa, dass ein gemeinsames Training kein Problem ist, wenn der Rahmen stimmt.

Göppingen - Die wiederkehrenden Gespräche über Kopftücher und Selbstmordattentäter gehen ihnen gehörig auf die Nerven. „Wir wollen kommen und Spaß haben“, sagen sie. Mehrere Muslimas, die meisten mit Kopftuch, waren bei der Auftaktveranstaltung zu dem Pilotprojekt „aktiF – aktiv integrativ – Frauen im Verein“ des Schwäbischen Turnerbunds (STB) und des Internationalen Bunds (IB) in Göppingen dabei. Sie erläuterten, wie die Sportvereine auch muslimische Frauen erreichen können. Denn darum geht es bei diesem Projekt: Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund zu gewinnen und über den Sport zu integrieren. Zehn Vereine haben die Möglichkeit, daran teilzunehmen. Schwerpunkte sind die Kreise Göppingen, Esslingen, Heidenheim sowie der Ostalb- und der Alb-Donau-Kreis.

 

Migrantinnen sind unterrepräsentiert

Die Zahlen, die die Projektleiterin Susanne Brand vom STB eingangs in die etwa 30-köpfige Runde warf, sprechen für sich. Frauen mit Migrationshintergrund sind in den Vereinen deutlich unterrepräsentiert. Lediglich 13 Prozent der aus der Türkei stammenden Mädchen im Jugendalter sind in einem Sportverein aktiv. Bei den Jungs sind es dagegen 70 Prozent. Bei den Erwachsenen sieht es nicht viel besser aus. 22 Prozent der Frauen und 44 Prozent der Männer gehen in einen Sportverein. Der Schwäbische Turnerbund sehe sich in der Pflicht, Sport- und Bewegungsangebote für alle Menschen zu machen, sagte STB-Vizepräsident Wolfgang Fleiner in Göppingen. Gerade die Vereine seien eine gute Plattform der Integration. Ein Beweggrund sei auch der Selbsterhaltungstrieb, ergänzte er. Die Vereine seien angesichts schwindender Mitgliederzahlen auf Neuzugänge angewiesen. Er wies darauf hin, dass in wenigen Jahren 60 Prozent der Kinder in Deutschland einen Migrationshintergrund haben werden.

Dass Frauen mit einer Zuwanderungsgeschichte auch in den Sportvereinen des Kreises Göppingen so gut wie keine Rolle spielen, kann Lothar Hilger, der Vorsitzende des Sportkreises Göppingen und Leiter des Kreisjugendamtes, nur bestätigen. „Für diese Frauen kenne ich kein spezielles Angebot“, sagt er. Er sieht das grundsätzliche Problem, diese Frauen überhaupt zu erreichen. Viele von ihnen dürften schlicht nicht in einen Sportverein gehen.

Vertrauen macht vieles möglich

Das sei ein Vorurteil, sagten dagegen die anwesenden Musliminnen. Es seien vielleicht zwei Prozent der muslimischen Migrantinnen, auf die das zutreffe, also eine absolute Minderheit. Solange der Rahmen stimme, sei alles möglich, erklärte Yasemin Yüzbasi von Nisa, einem Verein von muslimischen Frauen aus dem deutschen, türkischen und arabischen Sprachraum mit Sitz in Sindelfingen. Nisa bietet auch Sport an. Schließlich sei ein gläubiger Muslim dazu gehalten, seinen Körper gesund zu erhalten und zu pflegen. „Das ist doch keine Integration, wenn nur Musliminnen teilnehmen“, wandte Annette Schmidt, die Pressereferentin des VfB Ulm, gegen das Sportangebot von Nisa ein und hakte nach, ob muslimische Frauen überhaupt gemeinsam mit Christinnen Sport treiben dürften. Das sei überhaupt kein Problem, wurde ihr beschieden. Allerdings müsse sichergestellt sein, dass nicht überraschend ein Mann hereinplatze. „Das ist eine Vertrauensfrage“, erklärte Yasemin Yüzbasi.

Eine weitere Hemmschwelle seien – auch für muslimische Männer – Gemeinschaftsumkleiden und -duschen. Aus religiöser Sicht sollen Muslime es vermeiden, sich vor anderen Personen zu entblößen. Einig waren sich alle, dass die Kleidung kein Hinderungsgrund sein sollte. „Wenn eine Frau nicht nur im T-Shirt turnen möchte, dann lasst sie doch“, forderten die Migrantinnen. Überraschend war auch die Auskunft, dass viele Menschen aus dem arabischen Raum Vereine nicht kennen. Auch die Aussage, dass Musliminnen im Gegensatz zu anderen Frauen im Sportverein keine Freundschaften suchen, kam für viele Teilnehmer unerwartet. Sie seien in ihrem persönlichen Umfeld gut vernetzt, erklärten die Migrantinnen. Dennoch hielten sie es ebenfalls für wünschenswert, die Frauen mit Migrationshintergrund in die hiesigen Sportvereine zu holen.

Gesundheitsaspekt als Motivation

Der VfB Ulm möchte rasch aktiv werden. „Wir befinden uns in einem schnell wachsenden Stadtteil, Sport schweißt zusammen“, sagte Annette Schmidt. Der VfB sei einer der ersten Vereine überhaupt gewesen, die Angebote für Jungen und Männer mit Migrationshintergrund machten. Mit guten Erfahrungen. Bei den Frauen sei man allerdings bisher gescheitert. Die Mütter kämen zwar dazu, wenn ihre Söhne Fußball spielten, hielten sich aber selbst heraus. Und die Töchter erreiche der Verein so gut wie gar nicht, bedauert Annette Schmidt. „Die kommen fast nicht aus dem Haus heraus. “

Sie und die anderen Vereinsvertreterinnen nahmen mit, dass die Migrantinnen möglicherweise „über den Gesundheitsaspekt zu kriegen sein könnten“ – und über mehr Toleranz der anderen Frauen in Fragen der Bekleidung. Yasemin Yüzbasi hörte sich sehr entschieden an, als sie sagte: „Wir wollen nicht immer auf das Kopftuch angesprochen werden.“

Bildungsträger und Turnerbund ziehen an einem Strang

Modell
: Das Projekt „aktiF – aktiv integrativ – Frauen im Verein“ des Schwäbischen Turnerbundes und des Internationalen Bundes berät, unterstützt und begleitet zehn Sportvereine auf dem Weg der interkulturellen Öffnung. Ziel ist es, Mädchen und Frauen mit Zuwanderungsgeschichte in die Turn- und Sportvereine zu integrieren. Der Schwerpunkt liegt auf den Kreisen Göppingen, Esslingen und Heidenheim sowie dem Alb-Donau- und dem Ostalbkreis.

Angebot:
Gefördert werden Fortbildungen, etwa für Übungsleiterinnen, und geeignete Sport- und Bewegungsangebote. Ferner sind Strategieworkshops und Unterstützung bei der Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren der Integrations- und Flüchtlingsarbeit geplant.

Dauer:
Das Projekt, welches das Bundesministerium des Innern im Rahmen des Bundesprogramms „Zusammenhalt durch Teilhabe“ fördert, ist auf zwei Jahre angelegt.

Partner
: Initiatoren sind der Schwäbische Turnerbund und der Internationale Bund (IB), der seit fast 70 Jahren Sprachkurse und interkulturelle Trainings anbietet, um Zuwanderer zu integrieren. Mit aktiF sieht der Verein die Chance, der wachsenden Fremdenfeindlichkeit entgegenzutreten. Mit 683 000 Mitgliedern in 1800 Mitgliedsvereinen und einer Präsenz in jeder Ortschaft bietet der Schwäbische Turnerbund eine ideale Infrastruktur für dieses Projekt.

Kapazität:
Drei Vereine nehmen das Angebot bereits in Anspruch, weitere sieben können noch gefördert werden.