Warum kostenlose Hygieneprodukte für Transmenschen im Rathaus einen beispiellosen Streit zwischen Stadträten und OB ausgelöst haben.
Einige weiße Blechkisten in den Toiletten des Stuttgarter Rathauses und der Bürgerbüros, nebst einem Ständer mit Tüten zur Entsorgung der kostenlos angebotenen Menstruationsprodukte, haben offenbar das Zeug, die Kommunalpolitik in ihren Grundfesten zu erschüttern. Die Tampons und Binden stehen nämlich auch auf den Herrentoiletten zur Verfügung – ein Entgegenkommen, das der vor knapp zwei Jahren aus der 35 000-Einwohner-Kreisstadt Backnang in die Landeshauptstadt gewechselte Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) überhaupt nicht nachvollziehen kann.
OB: „Wurde leider überstimmt“
Nachdem seine Pressestelle eine Anfrage der Bild-Zeitung noch mit der gebotenen Sachlichkeit beantwortet, den Bedarf an Menstruationsprodukten begründet und auf einen mit großer Mehrheit bei den Haushaltsberatungen im vergangenen Dezember abgesegneten Beschluss verwiesen hat, distanzierte sich Nopper – vermutlich infolge hämischer Kommentare – am Nachmittag mit deutlichen Worten auf den von seiner Kommunikationschefin Susanne Kaufmann bespielten Kanälen auf Facebook und Instagram: Demnach habe er sich in den Beratungen klar gegen Tamponspender ausgesprochen, sei aber „leider überstimmt“ worden. Weite Teile der Kommunalpolitik hätten sich von den wirklichen Sorgen und Nöten der großen Mehrheit der Menschen verabschiedet. „Tampon-Gate“ war geboren, manche sprechen – Achtung: Wortspiel– auch von „OB-Gate“.
Ins selbe Horn stößt der CDU-Fraktionschef Alexander Kotz. Er fühle sich „genervt“ und glaube, der „grüne Wahnsinn“ im Rathaus kenne keine Grenzen mehr. Die Tamponspender für menstruierende Männer müssten sofort entfernt werden. Die Bürger würden doch denken, „die im Rathaus sind durchgeknallt.“ Diese Reaktion hat wiederum bei Befürwortern der Aktion im Gemeinderat und in der Verwaltung für Stirnrunzeln gesorgt, müsse doch der Fraktionschef, der mit einem Mann zusammenlebt, am besten wissen, wie es sei, wegen seiner sexuellen Orientierung ausgegrenzt zu werden.
Außerdem gehörte zur großen Mehrheit, die diesen Beschluss gefasst hatte, auch die CDU. Darauf von der Netzgemeinde hingewiesen, teilte Kotz am Abend mit, die Zustimmung seiner Fraktion sei natürlich auf Tamponspender in Damentoiletten beschränkt gewesen. Dass alle WC bestückt werden sollten, habe man nicht gewusst – oder in der Hektik der Etatberatungen schlicht übersehen.
Gute Gründe für das Angebot
Die Hygieneprodukte liegen auch deshalb in den Männertoiletten, damit sie von menstruierenden nicht-binären oder Trans-Menschen genutzt werden können. Außerdem sind sie für Väter gedacht, die ihre Töchter, falls diese ihre Periode hätten, bei Bedarf mit in die Männertoilette nehmen könnten. Sie seien auch ein wirksames Mittel gegen Nasenbluten, wurde in der Debatte angeführt. Im 21. Jahrhundert finden sich auf Männerklos längst auch Babywindeln und Wickeltische - allerdings (noch) nicht im Stuttgarter Rathaus.
Petra Rühle, Fraktionschefin der Grünen, zeigte sich fassungslos angesichts der Stellungnahmen von Nopper und Kotz: In einer aufgeklärten, offenen Gesellschaft müsste dieses Angebot doch selbstverständlich sein – „das ist es aber offensichtlich nicht“. Auch Menschen mit Monatsblutung „identifizieren sich nicht immer als Frauen. Gerade trans* und inter*Personen, die menstruieren, sind noch einmal ganz anderer struktureller Diskriminierung ausgesetzt, da ihre Bedürfnisse insbesondere auch in Hinblick auf Hygieneprodukte und gynäkologischer Versorgung leider oftmals negiert, ignoriert oder gar ins Lächerliche gezogen werden“.
Aussagen des OB „inakzeptabel“
Auch sie sollten ihre Hygieneprodukte auf öffentlichen Toiletten ganz selbstverständlich scham- und diskriminierungsfrei beziehen und natürlich auch entsorgen können“, so Petra Rühle. Offenbar gebe es bei der Aufklärung noch Nachholbedarf. „So kann man jedenfalls nicht mit Menschen umgehen“, sagt sie an die Adresse des Oberbürgermeisters, der erneut versuche, den Gemeinderat in der Öffentlichkeit schlecht zu machen. Das sei inakzeptabel und könne nicht so stehen bleiben. Nopper ist Wiederholungstäter: Bereits im Mai hatte er in der Debatte um sexistische Darstellungen auf Fahrgeschäften beim Frühlingsfest den Rat beleidigt, indem er ihm „Inquisition“ vorwarf.
Rühles Kollege an der Grünen-Spitze, Andreas Winter, der sich derzeit mit der CDU in Verhandlungen über den Nachtragshaushalt befindet, erinnerte daran, dass Nopper doch ein OB für alle sein wollte. Tatsächlich würden von ihm aber vor allem Schutzbedürftige negiert. Dass Tampons ausliegen, sei im Jahr 2022 „eigentlich eine Selbstverständlichkeit. „Die Polemik in Noppers Aussage“ zeige, „wie weit er von großen Teilen des Gemeinderats entfernt ist und auch von anderen Menschen in der Stadt“.
Am deutlichsten wurde Luigi Pantisano, Stadtrat im Linksbündnis. Er bezeichnet in einer Stellungnahme auf Facebook Frank Nopper als „Spalter und Hetzer“ – er spalte die Stadtgesellschaft und hetze seine „rechten und rechtsextremen Anhänger gegen die LSBTTIQ-Community auf“. Er gefährde damit auch die Sicherheit von Transmenschen. Nopper solle sich dafür schämen, „das ehrenamtliche Engagement der Kommunalpolitiker und -politikerinnen mit Füßen zu treten“.
Verweis auf Fassanstiche
In einer zweiten Eskalationsstufe zerschnitt Pantisano dann den ohnehin schon zum Zerreißen gespannten Gesprächsfaden zwischen seiner Fraktionsgemeinschaft und Nopper, indem er dem OB darauf hinwies, gar nicht zu bemerken, „wie hinter Ihrem Rücken in der gesamten Verwaltung und großen Teilen der Stadt getuschelt wird“, und dass er im Rathaus nicht mehr ernst genommen werde. So fühlten sich Bürgermeister mittlerweile sogar aufgefordert zu verhindern, dass wichtige Themen zur „Chefsache“ erklärt würden, weil sie Sorge tragen, dass diese sonst nicht umgesetzt würden. Am Ende seines Posts wies Pantisano erneut auf die Affinität Noppers zur Repräsentanz bei Festen aller Art hin: Er solle am besten nur noch Bierfässer anstechen und sich ansonsten aus der Kommunalpolitik herauszuhalten.
Öffentliche Rückendeckung im Netz erhielt das Stadtoberhaupt danach von Susanne Kaufmann: Die mit Nopper ins Amt gekommene Kommunikationschefin stellte fest, der OB habe in diesem Jahr drei Fässer angestochen. Sie warf Pantisano „ganz schlechten Stil“ vor. So sollte man nicht miteinander umgehen. Ein OB müsse seine Position darstellen können – vor allem, wenn sie von der des Gemeinderats abweiche.
Deutlicher wurde Noppers persönlicher Referent, der CDU-Kreisvorsitzende Thrasivoulos Malliaras: „Hätte Pantisano so viel Verstand im Kopf wie Locken im Haar, würde er mal nachdenken, bevor er zum Handy greift und solche Kommentare ablässt.“ Das ist kein Schlagabtausch mehr, das ist keine politische Arena mehr. Das ist einfach nur beleidigend.“ Der Linken-Stadtrat solle sich schämen.