Karl Haag Foto: Zimmermann

Der Sprachgelehrte Karl Alfred Haag setzte Maßstäbe in der deutschen Mundartforschung.

Er war einer der letzten Universalgelehrten. Ein Mann, der viele Sprachen beherrschte und eine logische Zeichensprache schuf. Größten Ruhm hat er sich in der Mundartforschung erworben: Am 21. August 1860 - an diesem Samstag vor 150 Jahren - wurde Karl Haag in Schwenningen geboren, der kreativste Kopf unter den Dialektologen seiner Zeit.

Als erster Feldforscher schaute Haag dem Volk selbst aufs Maul. Bei der ersten Untersuchung einer größeren Region - des oberen Neckar- und Donaulandes - gewann er zuverlässigeres Material als Kollegen, die auf Zuträger angewiesen waren. Zudem zog er aus seiner Stoffsammlung weitreichende Folgerungen: Die Grenzen der modernen Mundarten - so seine These - zeigen nicht die Siedlungsgrenzen der germanischen Stämme an. Die von der Romantik auf der Suche nach einem deutschen Nationalstaat genährte Vorstellung, die "Volkssprachen" verbürgten seit den Tagen der Völkerwanderung ungebrochen den deutschen Nationalcharakter, verabschiedete Haag ins Reich der Illusionen. Dank seines feinen Rasters von Sprachlinien offenbarten sich ihm Grenzen unterschiedlichen Gewichts; die Lautgrenzenstränge ergaben in ihrer Bündelung Sprachlandschaften, deren jede ein Kerngebiet und Saumgebiete als Zonen des Übergangs zur Nachbarmundart aufweist. Deren Grenzen aber decken sich mit den historischen Grenzen des Verkehrs, mithin den politischen Grenzen der Territorien des 16. Jahrhunderts, deren Prägekraft Haag zufolge nach drei Jahrhunderten freilich erlischt.

Haag überwand das völkische Denken. Er erkannte den gesellschaftlichen Charakter von Sprache und die kulturellen Aspekte von Sprachveränderungen. Und er vermochte die "Geographie der schwäbischen Mundarten" zu schreiben, die sein Lehrer Hermann Fischer, der Vater des Schwäbischen Wörterbuchs, für unmöglich erklärte. Dialektmischungen ergeben sich aus dem Verkehr; Sprachmischung und Ausgleich bewirken in Vergangenheit und Gegenwart hauptsächlich die Entwicklung der Mundarten; von politischen und kulturellen Mittelpunkten breiten sich sprachliche Neuerungen wellenförmig aus.

Am 2. Mai 1946 starb einer der bedeutendsten Germanisten, der sein Volk innig liebte, allem Völkischen aber mit Misstrauen zu begegnen gelernt hatte.