Vadim Jendreyko hat Calixto Bieitos Inszenierung von Wagners „Parsifal“ in seinem Dokumentarfilm „Die singende Stadt“ festgehalten. Jetzt ist das Original wieder an der Staatsoper zu erleben – mit Attila Jun als Gurnemanz (links). Foto: dpa

Attila Jun singt an der Staatsoper in „Parsifal“ – Im April Ernennung zum Kammersänger.

Stuttgart - Schon 1999 hat Pamela Rosenberg den damals 25 Jahre alten Koreaner Attila Jun als Ensemblemitglied an die Staatsoper Stuttgart geholt. Doch auch international ist Jun vor allem in Wagner-Partien ein gefragter Gast. Im Gespräch erfährt man warum: "Koreaner", sagt der freundliche Bass, "lernen immer."

"Bei uns", sagt Attila Jun - und meint damit weder die Staatsoper Stuttgart, die seit fast zwölf Jahren seine künstlerische Heimat ist, noch Ostfildern, wo er mit seiner Familie wohnt. "Bei uns", das sagt er, wenn von Korea die Rede ist. Seiner Heimat. Juns Wurzeln sind tief. Man kann sie auch hören - zum Beispiel an der Art, in der sein Mund das weiche B zum harten P formt oder wie er dunkle Vokale länger und schwärzer macht. Wagners Stabreime spricht er dafür ganz klar, ganz sauber. "Das zu lernen", sagt er, "macht Spaß - gerade weil kein Mensch auf der Straße so redet. Das ist ein Spiel."

Noch schöner kann Attila Jun Wagners Sprache singen. Jun liebt Wagners Musik, "die geht ganz tief in mein Herz". In Bayreuth hat er, während er noch bei dem legendären Wagner-Bass Hans Sotin in Köln studierte, fünf Jahre lang kleinere Rollen gesungen. Doch Gurnemanz, Hagen, König Marke: Diese Lieblingspartien würde er gerne auch auf dem Grünen Hügel singen ("Für den neuen ,Ring' 2013 haben die noch keinen Hagen").

Wagners Bässe liebt Jun mehr noch als Mozarts Sarastro und Komtur, Verdis Wurm, Ferrando, Großinquisitor und Sparafucile oder Tschaikowskys Gremin - alles Partien, die er in Stuttgart schon gesungen hat. Auch beim Interview im Foyer des Opernhauses kann Jun von Wagner nicht lassen. "Ich höre dich, schlimmer Albe!", zitiert mitten im Gespräch sein dunkler, breiter, klangreicher Bass den bösen Hagen, und "Von dort her kam das Stöhnen!", lässt er gleich darauf den Gurnemanz tönen.

In dieser Partie ist Attila Jun jetzt an der Staatsoper zu hören. Die Premiere des "Parsifal" und die ersten Folgevorstellungen sang 2010 allerdings Stephen Milling - als Gast. "Man hatte", sagt der Bass, "offenbar kein Vertrauen in mich." Aber das schade nicht. Im Gegenteil: "Ich brauche dieses Unvertrauen von anderen, denn es macht mich fleißig. Dann will ich es allen beweisen, wie schön ich singen kann. Es ist viel schwieriger, wenn einen alle loben."

Jun lernt gern, viel und immer weiter

Jun lernt gern, viel und immer weiter, "nach jeder Vorstellung"; er lernt so, wie es Koreanern offenbar genetisch mitgegeben wird. "Korea", sagt er, "ist ein kleines, dicht besiedeltes Land ohne Rohstoffe. Wir haben nichts, nur Berge. Deshalb müssen Koreaner studieren - die Ausbildung ihrer Kinder steht für alle koreanischen Eltern an erster Stelle."

Koreaner lernen immer: Auch diesen Satz hat Attila Jun gesagt. Neben dem "guten Material", das Jun seinen Landsleuten attestiert, mag dies ein wichtiger Grund für die Vielzahl begabter koreanischer Sänger an deutschen Theatern sein. Ein weiterer liegt sicherlich in deren Begabung zur Assimilation. Das gilt auch für Jun: Sogar an die deutschen Ladenschlusszeiten hat sich dieser ("Am Anfang hatte ich an manchen Feiertagen nichts mehr zu essen") inzwischen gewöhnt. Und den Zuwachs an innerer Unruhe, den der national einkomponierte Lernwille mit sich bringt, sieht er grundsätzlich positiv. "Ich bin", sagt er, "sehr kritisch mir selbst gegenüber, und ich war noch nie wirklich mit mir zufrieden. Hundert Prozent habe ich noch nie geschafft. Nach jeder Vorstellung liege ich nachts stundenlang wach und analysiere, was ich hätte besser machen sollen."

Ein Gutes habe die Zurücksetzung beim Stuttgarter "Parsifal" im Übrigen gehabt: Jun konnte zur Zeit der Stuttgarter "Parsifal"-Premiere ein Gastengagement als Marke am renommierten Teatro Liceu in Barcelona annehmen - und hat nach seinem Erfolg im dortigen "Tristan" nun gleich fünf weitere Verträge mit Spaniens riesigem Renommierhaus in der Tasche.

Streikbedingt war die Probenzeit für die Wiederaufnahme des "Parsifal" am Eckensee extrem kurz: Bei der ersten Vorstellung sang Jun tatsächlich erstmals mit dem Orchester zusammen - "und das", sagt er, "bei diesem dichten Bühnennebel, hinter dem man den Dirigenten kaum sehen kann!" Zum Glück hat der Sänger mittlerweile so viel Erfahrung und Routine, dass er die musikalischen Klippen des Stücks, ja selbst das szenisch kaum Geprobte meisterte. Heute weiß er ganz genau, wie er beim Laufen auf der Bühne die vielen Äste umkurven kann, deren Knacken ihn zunächst "ganz wahnsinnig" machte. Und Jun schätzt Manfred Honeck am Pult, denn "er mag wie ich die weichen Stellen, und wenn ich piano singe, macht er das Orchester ganz leise".

Ob er einmal zurückgeht in seine Heimat? "Wenn ich keine Stimme mehr habe", dann ja. Vorher nicht. Vorher will Attila Jun noch singen - am liebsten den Pogner in den "Meistersingern", der fehlt ihm noch in der Reihe seiner Wagner-Partien. Vorher soll sein Bruder, der als Geigenbauer in Cremona arbeitet, dem gerade fünfjährigen Sohn des Sängers noch eine Geige bauen. Und vorher wird man ihn noch zum Kammersänger ernennen. Bereits im kommenden Monat soll es so weit sein. "Das ist mir ", sagt Jun, "eine große Ehre, denn vor mir hat bislang nur eine Koreanerin - Hellen Kwon in Hamburg - diesen Titel verliehen bekommen. Das macht mich sehr stolz."

 An diesem Sonntag um 16 Uhr ist Attila Jun in der Rolle des Gurnemanz in "Parsifal" zu erleben. Karten unter 0711/ 202090.