Tim Mälzer (li.) kocht am Sonntag mit Moderator Pete Dwojak im "Tigerenten Club" Foto: SWR

Mit der Themenwoche "Essen ist Leben" leuchtet die ARD unsere Ernährung schonungslos aus.

Mit der Themenwoche "Essen ist Leben", die am Samstag beginnt, leuchtet die ARD unsere Ernährung recht schonungslos aus. Vegetarier werden wir dadurch bestimmt nicht alle, vielleicht aber bessere Konsumenten.

Manchmal ist es besser, selbst an die bittersten Wahrheiten ohne Polemik ranzugehen. Hätte man etwa Jonathan Safran Foer gebeten, der aktuellen ARD-Themenwoche einen passenden Titel zu geben, wäre dem amerikanischen Schriftsteller wohl kaum "Essen ist Leben" eingefallen, sondern eher "Essen ist Leiden". Schließlich berichtet sein Bestseller "Tiere essen" auf 400 überwiegend schwer verdaulichen Seiten vom ignoranten Irrsinn, mit dem unsere Essgewohnheiten diesen Planeten und alle darauf lebenden Geschöpfe geradewegs ins Verderben stürzen.

Jagd nach skrupellosen Lebensmittelfabrikanten

Denn das, was sich so hochtrabend westliche Zivilisation nennt, beutet seine Nutzlebewesen von der Geburt bis zur Schlachtbank aus, ruiniert damit Flora, Fauna, ja sogar die eigene Spezies. Und während noch immer statistisch alle 3,6 Sekunden ein Mensch an Unterernährung stirbt, wirft die Industriegesellschaft jährlich Nahrungsmittel im Wert von 100 Milliarden Euro weg, rund die Hälfte aller Erzeugnisse. Da wirkt ein siebentägiger Fernsehschwerpunkt zu diesem heiklen Komplex zwar wie das Pfeifen im Walde, aber absolut unerlässlich.

Die ARD tut gut daran, nicht nur die Moralisierungskeule zu schwingen. Gerade beim Leib-und-Magen-Thema Leibesfreuden reagiert der Durchschnittszuschauer empfindlich. Deshalb geht es eben nicht nur ums Schlechte, sondern auch ums Schöne am Gaumenschmaus. Dokumentationen über Legebatterien, Hungersnöte, Fettsucht, Genfood-Risiken, Biospritlügen und Subventionswahnsinn stehen anregende Kochsendungen, leichte Reportagen, unterhaltsame Spielfilme, kontroverse Talkshows von Beckmann über Will bis Maischberger und zu Beginn ein "Tatort" mit Kommissar Borowski auf der Jagd nach skrupellosen Lebensmittelfabrikanten gegenüber.

Der Geist ringt mit dem Bauch

Es wird also nicht nur mit dem erhobenen Zeigefinger gewedelt, auch das Recht auf Genuss und Entertainment findet seinen Platz. Wenn sich Sonntagnacht der New Yorker Filmemacher Morgan Spurlock im Selbstversuchsfilm "Super Size Me" per Fast Food fast ins Grab frisst, ist sogar Lachen erlaubt; ein Quiz namens "Wie ernährt sich Deutschland? Die große Wissensshow" transportiert das bierernste Sujet mit jener spielerischen Leichtigkeit, die das Leitmedium auf allen Sendern zurzeit prägt.

Und damit das Ganze nicht wie so vieles, was im öffentlich-rechtlichen Rahmen gut gemeint, aber schlecht platziert ist, unter Ausschluss des Publikums läuft, räumen die 16 Programme der ARD bisweilen gar ihre Primetime frei für allerlei Sperriges, das zudem nicht von Schulfunkveteranen moderiert wird, sondern von Sympathieträgern. Der rustikale Spitzenkoch Tim Mälzer bedient das privatfernsehgeschulte Auge, die feuilletonistische Nachrichtenmoderatorin Caren Miosga das anspruchsvolle Publikum unter 60, der migrationshintergründige Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar Kinder und Senioren aller Soziokulturen. Nicht ohne Grund lobt Programmdirektor Volker Herres die Themenwoche seiner ARD als "informatives und unterhaltsames Programmangebot". Damit erreichte das Erste bereits bei früheren Schwerpunkten zu Krebs, Kindern, Demografie und Ehrenamt Jahr für Jahr 40 Millionen Zuschauer.

Der Geist ringt mit dem Bauch

Dass auch diesmal populäre Formate wie Yogeshwas Wissensquiz oder der Kieler "Tatort" die besseren Sendeplätze erhalten, während brillante Dokumentationen wie "Hunger" von Marcus Vetter und Karin Steinberger oder Robert Kenners Oscar-nominierte Abrechnung mit der US-Nahrungsmittelindustrie "Food Inc" in die Nachtstunden verbannt werden, folgt den Gesetzen des Mediums - ärgerlich, aber mit ein wenig Zähneknirschen durchaus hinzunehmen. Denn so umfassend wurde bisher noch nie über Ursachen und Folgen marktwirtschaftlicher Ernährung berichtet.

Wer die ARD-Themenwoche auch nur in Teilen verfolgt, wird sicher zu ihrem Ende am 29. Oktober nicht sein letztes Stück Fleisch verdrücken. Doch etwas klarer sieht man sich und sein Verhalten danach gewiss. Das ist schon mal eine Menge, im Ringen des Geistes mit dem Bauch.