Das Recht zu arbeiten steht für viele Flüchtlinge nur auf dem Papier Foto: dpa

Ein neues Gesetz soll Flüchtlingen bessere Chancen auf einen Job geben. Doch in der Zwischenzeit haben viele eine Arbeit gefunden: auf dem Schwarzmarkt. Für Betriebe sind hilflose Flüchtlinge billige Arbeitskräfte. Der neue Mindestlohn könnte das Problem sogar verstärken, fürchten Experten.

Stuttgart - Die beiden schwarz gekleideten Männer bringen kalte Novemberluft mit in den Dönerladen. Und die Angst. Immer wenn Männer mit Aktentaschen kommen, fürchtet Sami, dass es so weit ist. Dass die Kontrolleure da sind. Dass er aufgeflogen ist. Sami ist nicht der richtige Name des 23-jährigen Flüchtlings aus Syrien, der eigentlich Physiker werden wollte. Seine Identität gibt er nicht preis, weil das, was er tut, verboten ist: Sami arbeitet schwarz. Die Männer mit den Aktentaschen wollen nicht die Arbeitserlaubnis sehen, die Sami nicht hat. Sie wollen Döner. Dieses Mal.

Bisher mussten Asylbewerber in Deutschland neun Monate warten, bis sie eine Arbeitserlaubnis bekommen haben. Geduldete sogar ein Jahr. Als „geduldet“ werden Ausländer bezeichnet, die in Deutschland keinen sicheren Aufenthaltstitel erhalten, aber aus rechtlichen Gründen noch nicht abgeschoben werden können. Oftmals reiht sich bei ihnen über viele Jahre hinweg eine Duldung an die nächste. So lebten laut Bundesinnenministerium Ende 2013 über 32 000 (von insgesamt fast 100 000) Geduldeten seit mindestens sechs Jahren in Deutschland.

Das neue Gesetz erlaubt es Asylbewerbern zwar nun, bereits nach drei Monaten in Deutschland zu arbeiten. Doch in der Zwischenzeit haben sich viele Flüchtlinge ein Netzwerk im Untergrund aufgebaut: Verwandte und Freunde, die jemanden kennen, der einen kennt, der sie arbeiten lässt, ohne Fragen zu stellen. Experten befürchten, dass auch künftig viele Flüchtlinge in die Schwarzarbeit abdriften werden.

Einen Job erhalten die Asylbewerber auch künftig nur dann, wenn ihn kein Deutscher oder EU-Bürger machen will. Diese sogenannte Vorrangprüfung durch die Arbeitsagentur entfällt in der Regel erst, wenn die Menschen bereits seit 15 Monaten in Deutschland leben. Viele Asylbewerber machten die Erfahrung, dass der Job wieder weg sei, wenn die Arbeitsagentur mit der Prüfung fertig ist, sagt Hubert Heinhold, Anwalt für Bleiberecht in München und Vorstandsmitglied der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl. Das treibe so manche Asylbewerber in die Schwarzarbeit. „Viele Arbeitgeber scheuen auch die Bürokratie und weigern sich, die Stelle offen auszuschreiben.“

Außerdem müssen Asylbewerber in dem Heim wohnen, in das sie von der Ausländerbehörde geschickt werden. Flüchtlinge werden nach einem bestimmten Schlüssel im ganzen Bundesgebiet verteilt. Ein Umzug sei ein langwieriger bürokratischer Vorgang, sagt Heinhold. „Wir reden von mehreren Wochen oder Monaten.“ Ausgang: ungewiss. „Oft ist dann der Arbeitsplatz weg“, sagt Heinhold. Eine Umverteilung über die Ländergrenzen hinweg sei so gut wie ausgeschlossen und unter einem halben Jahr nicht machbar. „Das Ergebnis: In strukturschwachen Gegenden steht das Recht zu arbeiten nur auf dem Papier“, sagt der Anwalt.

Alim (Name geändert) sitzt in seinem Zimmer im Asylbewerberheim und hat nicht viel außer Zeit. Auf dem Tisch vor ihm liegen die Handzettel von sogenannten Freunden, die den Flüchtlingen Arbeit geben. Ohne Vorrangprüfung – und ohne Arbeitserlaubnis. Ob Alim in Deutschland bleiben darf, ist ungewiss. Er hat bereits in einem anderen europäischen Land Asyl beantragt und muss das Land, in dem er sein Studium zu Ende bringen wollte, wohl wieder verlassen.

Doch Alim glaubt an Allah und an Wunder. Ein Anwalt soll dem Allmächtigen auf die Sprünge helfen – und Alim dabei unterstützen, dass er doch noch in Deutschland studieren kann. Das Wunder wird womöglich nie Realität werden. Anders als die Rechnungen des Anwalts. Seine Briefe schreibt der Jurist auf Deutsch. Alim versteht nur so viel: Er braucht Geld.

Auf dem schwarzen Handzettel der Reinigungsfirma steht in roter Schrift, dass Menschen, die andere für sich putzen lassen, mehr Lebensqualität haben. Dass die Firma illegal überqualifizierte Syrer beschäftigt, ist schlecht für die Lebensqualität – und steht nicht da. „Die Firma bringt Flüchtlinge beispielsweise zum Putzen in Supermärkte“, sagt Alim. „Im Moment werden Leute für den Winter gesucht, zum Schneeräumen.“ Bei den Ausländerbehörden heißt es, dass die Anrufe vom Zoll zunehmen. Die Mitarbeiter der Behörde sind dafür zuständig, Schwarzarbeiter aufzuspüren.

Allein im Großraum Stuttgart ist die Zahl der schwarzarbeitenden Asylbewerber in den vergangenen fünf Jahren enorm in die Höhe geschnellt. „Wir stellen eine große Steigerung fest“, sagt Claudia Krauth von der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Demnach ist die Zahl der Fälle, bei denen Asylbewerber gegen das Beschäftigungsverbot verstoßen haben, zwischen 2011 und dem 15. November 2014 um über 400 Prozent auf 129 Fälle gestiegen. Die Dunkelziffer sei hoch, heißt es in den Ausländerbehörden.

Die Arbeitgeber präsentieren sich oft als Retter in der Not. In Wirklichkeit sind die Asylbewerber für sie nur billige Arbeiter. „Sie benutzen uns“, sagt Alim. „Das wissen wir.“ Die Anwaltskosten belaufen sich auf über 1000 Euro. „Ich will nicht schwarzarbeiten“, sagt Alim. „Aber . . .“ Der 25-Jährige hat Syrien nicht verlassen, um in Deutschland reich zu werden, sondern um zu überleben. Im Krieg in seinem Heimatland sind zwischen März 2011 und April 2014 über 190 000 Menschen gestorben. „Bomben töten schnell“, sagt Alim. „Das Warten, die Ungewissheit im Asylbewerberheim töten langsam.“ Auch darum will er etwas tun.

„Der ökonomische Anreiz, billige Asylbewerber zu beschäftigten, wird durch die Einführung des Mindestlohns im kommenden Jahr sogar noch steigen“, sagt Stefan Stell, Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz.

Von 2015 an wird in Deutschland schrittweise der Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde eingeführt. Sami erhält auf dem Schwarzmarkt einen Stundenlohn von fünf bis sechs Euro. Für illegale Dumping-Modelle zur Unterwanderung der Regel seien Flüchtlinge besonders interessant, so Sell. „Diese Menschen zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie sich nicht wehren können“, sagt er. „Sie kennen das deutsche Arbeitsrecht nicht, oft auch nicht die Sprache, und sie sind nicht in Gewerkschaften.“

Zwar steige vom kommenden Jahr an auch die Gefahr, erwischt zu werden – aber nur theoretisch. „Schon jetzt beklagt die Zollverwaltung 600 fehlende Planstellen“, sagt Sell. Zwar seien der Behörde 1600 zusätzliche Stellen versprochen worden, sagt Dieter Dewes, Bundesvorsitzender der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft (BDZ). Diese werden jedoch nicht alle zum Jahreswechsel geschaffen, sondern in einem Zeitraum von fünf Jahren. „Die Zahl der neuen Stellen reicht bei weitem nicht aus“, sagt Drewes. Er hält 2500 neue Stellen für nötig.

Sami kennt sich aus mit dem deutschen Kontrollsystem. Er arbeitet nicht auf Großbaustellen und meidet Ballungszentren. „Auf dem Land wird eigentlich nicht kontrolliert“, sagt er. Angst hat er dennoch.

Es gibt für Asylbewerber kaum eine Möglichkeit, legal nach Deutschland zu einzureisen und einen Asylantrag zu stellen. Der Antrag muss in dem europäischen Land gestellt werden, in dem ein Flüchtling zuerst den Boden betritt – und Deutschland liegt nicht an der Außengrenze der Europäischen Union. Qualifizierte junge Menschen wie Sami und Alim, die in Deutschland ihr Studium beenden wollen, könnten auch ein Studenten-Visum beantragen. Das Problem: Wer über ein reguläres Studenten-Visum nach Deutschland kommt, darf lediglich 120 Stunden im Jahr arbeiten. Die Lösung: Schwarzarbeit.

Die Arbeitgeber in Deutschland fordern zunehmend, die Perspektiven für junge Flüchtlinge zu verbessern. So erarbeiten die Kammern sowie die Arbeitgeber in Baden-Württemberg derzeit ein Konzept zur Integration von Asylbewerbern in den Arbeitsmarkt. „Der BWIHK appelliert an die baden-württembergische Landesregierung, Flüchtlingen in Ausbildung künftig ein langfristiges oder unbeschränktes Aufenthaltsrecht zu gewähren“, sagt Peter Kulitz, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK), unserer Zeitung. „Der Spielraum der Behörden im Land muss voll ausgeschöpft werden. Flüchtlinge wie Betriebe brauchen eine langfristige Perspektive. Das Bleiberecht sollte auch über die Ausbildungszeit hinausgehen“, so Kulitz. „Eine Abschiebung mit dem Ausbildungszeugnis in der Tasche, aber ohne Perspektive in der Heimat wäre nicht nur unmenschlich, sondern auch unklug.“

Das neue Gesetz gehe nicht weit genug, kritisiert Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. „Geduldete sollten ab Erteilung der Duldung ohne Vorrangprüfung erwerbstätig sein dürfen“, sagt Kramer. Bei Asylbewerbern solle die Vorrangprüfung nach sechs statt nach neun Monaten wegfallen.

Sami hat von der jüngsten Gesetzesänderung noch gar nichts gehört. Auf seiner Ausländerbehörde wird Deutsch gesprochen. Er lebt seit einem Jahr hier. „Mit deutschen Gesetzestexten habe ich aber immer noch Schwierigkeiten“, sagt der Syrer aus dem Dönerladen. Die ersten deutschen Worte, die er gelernt hat, waren nicht Vorrangprüfung oder Duldung, sondern: „Ohne Zwiebel.“