Sahra Wagenknecht gehörte am Sonntagabend zu den Gästen bei Anne Will. (Archivbild) Foto: dpa/Britta Pedersen

Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht ist im ARD-Talk bei Anne Will völlig isoliert – und bekennt ihre Reiseangst vor Kiew.

Mit ihrem Wunsch nach einer Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg war Sahra Wagenknecht (Linke) schon immer abseits des politischen und publizistischen Mainstreams. Aber auch die verbalen Attacken einer Phalanx von vier vehementen Befürwortern weiterer Waffenlieferungen für die Ukraine bei der ARD-Talkrunde von Anne Will am Sonntagabend ließ sie weitgehend an sich abprallen – bis, ja bis zu den Schlussminuten der Sendung.

Da bezeichnete der Historiker und Osteuropaexperte Karl Schlögel sie, Sahra Wagenknecht, als „Stimme Putins“, fragte nach ihren gemeinsamen Plänen mit der AfD und sagte, dass sie die Angst der Menschen instrumentalisiere und dies ihre Geschäftsgrundlage sei. „Jetzt hört es aber auf! Unverschämtheit“, zürnte Sahra Wagenknecht da und attestierte dem Historiker, dass er das Niveau der Sendung unterschreite. Anne Will – die Wagenknecht zuvor auch hart angegangen war – grätschte dann doch kleinlaut dazwischen und murmelte von einer „wertschätzenden Auseinandersetzung“, die man führen wolle. Aber da waren die 60 Minuten auch schon rum.

Rakete mit 500 Kilometern Reichweite

Dabei war die Fragestellung der Runde ja durchaus aktuell, und die Debatte hatte ihre sachlichen Phasen. Braucht die Ukraine noch mehr Unterstützung, sollte Deutschland jetzt auch noch Marschflugkörper vom Typ Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern liefern? Der Historiker Schlögel gab als erster die Richtung vor, der im Prinzip alle – bis auf Sahra Wagenknecht – folgten. Ja, Deutschland müsse der Ukraine all die Waffen liefern, die sie brauche, „um den Feind aus dem Land zu treiben“. Europa dürfe nicht zugucken, wie in der Ukraine europäische Städte wie Odessa von den Russen bombardiert werden. Auch Roderich Kieswetter, CDU-Bundestagsabgeordneter und Oberst a. D., plädierte dafür, der Ukraine „alles zur Verfügung“ zu stellen, um die Invasion Russlands einzudämmen. „Jedes Zögern führt dazu, dass weitere Menschen sterben.“

„Biden hat uns den Arsch gerettet“

In die gleiche Kerbe hieb der SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, der zunächst mal erklären musste, warum Bundeskanzler Olaf Scholz noch mit der Zusage von Marschflugkörpern zögert, obwohl Verbündete wie Großbritannien und Frankreich die längst an Kiew lieferten. „US-Präsident Biden hat uns in Sachen Ukraine schon mehrfach den Arsch gerettet“, meinte Roth, und dem Kanzler sei es wichtig, einen Beschluss nur in enger Abstimmung mit den USA zu fassen. Die aber haben der Lieferung von Marschflugkörpern auch noch nicht zugestimmt. Er selbst, so bekannte Roth, sei Mitglied im „Team Tempo“, also für rasche Zusagen, und der Sozialdemokrat verwies auch darauf, dass die Ukraine mit den bisherigen Waffenlieferungen sehr verantwortungsbewusst umgegangen sei. Auch mit den gelieferten Panzerhaubitzen 2000 – Reichweite 40 Kilometer – könne ja russisches Territorium im Prinzip erreicht werden, die Ukraine nutze diese Möglichkeit aber nicht.

Eine „schonende“ Waffe

„Der Marschflugkörper Taurus geht schonend vor“, sagte Roth, er sei in der Lage, die russischen Versorgungslinien zu durchschneiden, Versorgungs- , Betriebsstoff- und Munitionslager zu treffen. Er habe die Hoffnung, so Roth, dass die 40.000 auf der Krim stationierten russischen Soldaten durch diese neue Waffentechnik zum Aufgeben gezwungen werden – und er bejahte insofern Anne Wills Frage, ob der „Taurus“ denn nun der „Gamechanger“ im Krieg sein könne. Dass eine Niederlage Russlands zwingend sei, daran ist laut Roth nicht zu rütteln: „Man muss doch mal die klaren Aussagen Putins hören. Er spricht der Ukraine und Belarus das Existenzrecht ab. Er will sie sich einverleiben und wird dort nicht halt machen.“

Die Zeit läuft davon

Aber arbeitet die Zeit nicht für Putin? Läuft sie dem Westen davon? In den USA stehen Ende 2024 Wahlen an, die wieder einen Donald Trump an die Macht bringen könnten, der die Ukraine-Hilfe einstellen will. Gleichzeitig steigt auch in Europa eine gewisse Kriegsmüdigkeit, waren im Sommer 2022 noch 70 Prozent der Deutschen für eine Waffenunterstützung der Ukraine, sind es in diesem Sommer nur noch 62 Prozent. Auch global ordnen sich die Dinge neu, wichtige BRIC-Staaten plädieren für eine Verhandlungslösung. „Diese Debatte der Zögerlichkeit ist nicht hilfreich“, meinte die Zeit Online-Korrespondentin Rieke Havertz über die USA und Deutschland. Es müsse im Interesse von Biden und Scholz sein, jetzt schnell zu entscheiden. Biden habe mit 70 Milliarden US-Dollar an Militär- und Zivilhilfe enorm viel für die Ukraine getan, er habe nun ein weiteres 24-Milliarden- Paket auf den Weg gebracht, ein Ausfall dieser US-Hilfen wäre durch niemanden zu ersetzten. Aber der innenpolitische Druck auf Joe Biden steige. Damit steige aber auch der Druck auf die Ukraine für militärische Erfolge, dass sie russische Infrastruktur angreife und zerstöre, um wiederum Putin unter Druck zu setzen, damit man in einem noch zu definierenden Zeitfenster dann in der Lage sei, „so etwas wie Verhandlungen möglich zu machen“.

Frieden jetzt, sagt Wagenknecht

Das aber will auch Sahra Wagenknecht – und zwar sofort. Die Linken-Politikerin musste sich von Anne Will nochmals einen alten Videoclip aus ihrer Talkrunde vom 20. Februar 2022 vorhalten lassen, in dem Wagenknecht behauptete, Putin habe keinerlei Interesse in der Ukraine einzumarschieren: „Was sollte ihm das bringen?“ Sie, Sahra Wagenknecht, habe sich im russischen Präsidenten bereits einmal „fundamental getäuscht“, meinte Anne Will. Von ihrer zur restlichen Gästeschar völlig konträren Meinung aber ließ sich Wagenknecht nicht abbringen. Zum einen ist sie der Ansicht, dass Deutschland schon jetzt der größte Panzerlieferant der Ukraine sei – die USA hätten bisher noch keine geliefert - und das bisher jedes neue Waffensystem als „Gamechanger“ im Krieg verkauft worden sei – zu Unrecht. „Eine Eskalation ist der falsche Weg. In drei Monaten hat die Ukraine mit ihrer Offensive ein oder zwei Prozent Geländegewinne gemacht – aber dafür haben Zehntausende von jungen Männern in den Tod gehen müssen.“ Putin sei verhandlungsbereit, so Wagenknecht, und auch der brasilianische Präsident Lula, der Papst und Länder wie Südafrika plädierten längst für Verhandlungen.

Zweifel am Sieg der Ukraine

Wagenknecht sprach sich dafür aus, an den 2022 gescheiterten Istanbul-Verhandlungen wieder anzusetzen. „Mich sprechen Frauen aus der Ukraine an, die sagen, das Sterben müsse endlich aufhören.“ Russland habe viermal mehr Soldaten als die Ukraine, es bestehe auf Dauer die Gefahr, dass die ukrainische Armee aufgerieben werde. „Die Ukraine hat jetzt schon so hohe Opferzahlen, dass sie Schwierigkeiten beim Rekrutieren hat.“ Die Ukraine werde eines Tages nicht mehr nach Waffen, sondern nach Soldaten rufen. „Und wenn die Ukraine militärisch untergeht? Werden wir eingreifen? Nehmen wir dann einen dritten Weltkrieg in Kauf?“ Man müsse sich mit Moskau an einen Tisch setzen, denn es werde militärisch keinen Sieg der Ukraine geben, meinte Wagenknecht.

Morddrohung aus Kiew

Von den anderen im Studio wurde dem widersprochen. Die Journalistin Havertz wies daraufhin, dass Putin nicht zu trauen sei, was der Bruch des Getreideabkommens doch erwiesen habe. Der Historiker Schlögel betonte, dass Teile in der russischen Gesellschaft es verhindern wollten, dass andere Völker und Nationen „ihren eigenen Weg gehen“ und sie, Sahra Wagenknecht, habe sich „doch nie mit Russland beschäftigt“. Im Übrigen solle sie doch einmal in die Ukraine fahren, um dort selbst mit den Menschen zu sprechen und sich ein Bild davon zu machen, wie entschlossen die seien und dass die sich nicht von Russland „in die Knie“ zwingen lassen wollten. Wagenknecht entgegnete, dass sie für die oligarchisch-kapitalistisch geprägte Gesellschaft Russlands gar keine Sympathie empfinde, aber sie wolle, dass der Krieg endlich ende. Was eine Reise in die Ukraine anbelangte, da schüttelte sie nur den Kopf: „Herr Melnyk hat mich einmal öffentlich mit einer Morddrohung überzogen.“ In seiner damaligen Funktion als Vize-Außenminister sei das ein „seltsames Gebaren“ gewesen.