Ralph Schuster vom DRK fordert Solidarität mit Rettungskräften. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Hilfsorganisationen stellen seit Jahren zunehmende Aggressionen auch gegenüber Rettungskräften fest. Doch was einige Mitarbeiter bei den Ausschreitungen in Stuttgart erleben mussten, lässt sie fassungslos zurück.

Stuttgart - Ralph Schuster ist Leiter des Rettungsdienstes beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Stuttgart. Die Helfer kämpfen schon seit Längerem mit Beleidigungen und Aggressionen. Doch Randale wie am Wochenende haben auch sie noch nie erlebt.

 

Herr Schuster, wo haben Sie die Nacht von Samstag auf Sonntag verbracht?

In der Integrierten Leitstelle. Dort laufen alle Fäden zusammen. Schon vor Mitternacht sind erste Informationen über aggressive Gruppen in der Stadt eingetrudelt, zunächst vom Killesberg. Als es in der Innenstadt los ging, hatten die verschiedenen Hilfsorganisationen insgesamt 18 Fahrzeuge und 34 Mitarbeiter im Einsatz. Ergänzend hatte die Feuerwehr vorsorglich Einsatzkräfte und Geräte aus dem Bevölkerungsschutz bereitgestellt. Im Zusammenhang mit den Ausschreitungen wurden vom Rettungsdienst sechs Personen versorgt. Dass es so wenige sind, liegt vermutlich auch daran, dass sich einige Verletzte selbst auf den Weg in die umliegenden Krankenhäuser gemacht haben.

Was haben Ihre Mitarbeiter erlebt?

Sie sind von den Randalierenden bei allen Einsätzen massiv behindert und verbal sowie körperlich angegriffen worden. Sie konnten nur unter Polizeischutz zu Verletzten vordringen. Das haben wir so noch nie erlebt. Ein derartiges, mit nichts zu rechtfertigendes Verhalten setzt Menschenleben aufs Spiel. Die Besatzung eines Rettungswagens musste sich mit einem Patienten an Bord im Fahrzeug verschanzen und das eineinhalb Stunden lang. Das Auto ist schwer beschädigt worden, dabei brauchen wir jedes einzelne. Die Windschutzscheibe wurde durch einen Flaschenwurf zerstört – genau an der Stelle, an der eine Auszubildende saß. Wir haben diverse Anzeigen erstattet.

Gab es Verletzte unter Ihren Leuten?

Zum Glück nicht. Aber das Körperliche ist nur die eine Seite. Solche Vorfälle wirken nach. Vier der Mitarbeiter, die in dieser Nacht im Einsatz gewesen sind, waren inzwischen bei der psychosozialen Nachsorge.

Wieso ist neben der Polizei auch der Rettungsdienst massiv angegriffen worden?

Dieses Szenario ist mit nichts zuvor zu vergleichen. Da gibt es noch viele Fragen zu beantworten. Allerdings stellen wir seit Jahren die gesellschaftliche Entwicklung fest, dass der Respekt schwindet, auch gegenüber denjenigen, die Gutes tun wollen. Das betrifft Polizisten, Lehrer, Rettungskräfte. Früher haben die Leute Platz gemacht, wenn der Rettungswagen kam. Heute ist das Selfie mit dem Unfallopfer oft wichtiger. Leute parken Fahrzeuge im Einsatz zu und beleidigen die Retter. Da ist viel Gleichgültigkeit im Spiel.

Wie können Sie Ihre Leute besser schützen?

Wir tun viel dafür. In allen Einsatzfahrzeugen gibt es seit Jahren Zentralverriegelungsknöpfe sowohl vorn als auch hinten, um sich in Gefahr verbarrikadieren zu können. Wir machen Deeskalationstrainings und schulen die Leute darin, sich möglichst zurückzuziehen, wenn es brenzlig wird. Das geht aber natürlich nicht immer. Außerdem dokumentieren wir alle Vorfälle und bringen strafrechtlich Relevantes konsequent zur Anzeige. Dazu kommt die Nachsorge.

Zuletzt ist sogar über den Einsatz von Schutzwesten diskutiert worden.

Davon sehen wir bislang noch ab. Es gibt Gründe, die dagegen sprechen. Wir bringen Hilfe und sollten auch so aussehen. Falls sich Situationen wie am Wochenende aber wiederholen, muss man neu nachdenken – auch über den Einsatz von Kameras.

Sind härtere Strafen notwendig?

Seit 2017 ist der Rettungsdienst rechtlich ähnlich gestellt wie beispielsweise die Polizei. Es gibt also ausreichend Möglichkeiten zur Bestrafung. Die müssen aber auch konsequent und zeitnah durchgesetzt werden. Noch wichtiger wäre allerdings, solche Situationen in Zukunft gar nicht erst entstehen zu lassen. Deshalb schauen wir auch auf das nächste Wochenende, an dem wir in erhöhter Alarmbereitschaft sein werden. Wir hoffen, die Ereignisse wiederholen sich nicht.

Können solche Vorkommnisse Menschen von der Arbeit im Rettungsdienst abhalten?

Noch gibt es viele Bewerber für die Ausbildung. Wenn wir allerdings ein Dauerrisiko dieser Art hätten, könnte sich das ändern – oder die Leute wollen nicht mehr nach Stuttgart. Der Beruf muss attraktiv sein, denn wir alle sind auf den Rettungsdienst angewiesen. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, sich als Gesellschaft zu solidarisieren.