Die Stuttgarter CDU-Abgeordnete Maag regt Hohenheim als Produktionsort für Cannabis als Medizin an.
Stuttgart - Die Leiden sind oft beschrieben worden und ein Wirkstoff aus Cannabis kann sie lindern. Etwa die eines Ingenieurs aus Bayern, der wegen eines genetischen Knochendefekts an den Rollstuhl gefesselt war und nach mehreren Knochentransplantationen und jahrelangem Konsum von starken Schmerzmitteln auf ärztlichen Rat hin erstmals Cannabis erhielt. Seitdem führt er ein fast normales Leben – dafür ist er finanziell ruiniert. Denn die derzeit 779 Patienten, die mit einer Ausnahmeerlaubnis der Bundesopiumstelle ein Cannabisextrakt aus medizinischen Gründen erhalten, müssen tief in die eigene Tasche greifen. Die Krankenkassen zahlen dafür nicht, was bei Kosten von 300 bis 500 Euro im Monat eine starke Belastung für viele ist. Ein unheilbar an Multipler Sklerose erkrankter Mann hat sogar vor Gericht erstritten, dass er aus Kostengründen das „Gras“ daheim anbauen darf.
„Die Kranken fühlen sich allein gelassen, das muss und wird sich ändern“, sagt Karin Maag (CDU), Stuttgarter Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Gesundheitsausschuss. Noch vor der Sommerpause hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) einen Gesetzentwurf eingebracht, wonach vom nächsten Jahr an die Krankenversicherungen bei Schwerkranken die Kosten für Cannabis als Medizin übernehmen werden. Die Voraussetzung ist die ärztliche Verordnung eines Rezeptes, die aufwendige Beantragung bei der Bundesopiumstelle wird entfallen. Für den Anbau des Cannabis bringt Maag zudem die Universität Hohenheim ins Gespräch.
Hoffnung für Schmerzpatienten und bei Epilepsie
Krebspatienten mit starken Schmerzen, die Patienten auf den Palliativstationen der Krankenhäuser oder Eltern von Kindern, die an einer schweren Epilepsie leiden, hoffen auf das Gesetz. Auch wenn nach einer Chemotherapie Übelkeit und schwere Appetitlosigkeit auftritt, kann Cannabis helfen. Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin geht davon aus, dass die sogenannten Cannbinoide bei 40 bis 50 verschiedenen Krankheiten eingesetzt werden können – darunter neurologische und psychiatrische Probleme sowie entzündliche Darmerkrankungen.
Dass der Entwurf von Minister Gröhe nach der Sommerpause vom Bundestag angenommen wird, davon geht die Abgeordnete Karin Maag aus: „Noch sehen einige in der CSU das Gesetz kritisch, aber da selbst die Drogenbeauftragte Marlene Mortler von der CSU ist und das Vorhaben gut findet, kann sie die Skeptiker in den eigenen Reihen sicher überzeugen. Es gibt strenge Regeln, die Missbrauch verhindern.“ Der Grundkonsens sei da, man schließe eine gesundheitspolitische Lücke.
Spannender könnte die Frage der Vorgaben für die Herstellung und die Ausgabe von Cannabisarznei sein – sei es in Form von getrockneten Blüten oder als Extrakt. Noch wird der sogenannte Medizinalhanf aus den Niederlanden importiert Künftig soll eine staatliche Stelle den Anbau in Deutschland ausschreiben, den Bedarf ermitteln, die Qualität prüfen und die Belieferung von Großhändlern und Apotheken organisieren. Sie wird Cannabisagentur heißen und am Bundesinstitut für Arzneimittel angesiedelt sein. Schon seit der Vorstellung von Gröhes Plänen im Januar gehen in der Behörde fast täglich Anfragen von Landwirten, Privatleuten oder Firmen ein, die sich für den Anbau interessieren.
Anbau nur staatlich kontrolliert und vor Diebstahl geschützt
„Der Anbau wird staatlich kontrolliert sein, er muss mit gleich bleibender Qualität erfolgen, zum Beispiel darf der THC-Gehalt nicht schwanken“, sagt Karin Maag. Und der Anbau müsse vor Diebstahl geschützt sein. Sie selbst sieht den agrarwissenschaftlichen Standort an der Universität Stuttgart-Hohenheim „als prädestiniert“ für den Anbau von Medizinalhanf an. „Dort könnte ein kontrollierter Anbau garantiert werden, da habe ich Null Bedenken“, sagt Maag im Gespräch mit unserer Zeitung.
In Hohenheim hat man sich noch keine Gedanken über solch ein Ansinnen gemacht, da eine offizielle Anfrage oder Ausschreibung der Cannabis-Produktion ja noch nicht erfolgt sei, wie der Pressesprecher Dietmar Töpfer betont. Tatsache sei, dass in Hohenheim kleinere Versuchsfelder für sechs Sorten von proteinreichem Industriehanf bestehen, dessen Körner von Veganern bevorzugt werden. Aus ihnen können Öle und Fasern jedoch kein Haschisch gewonnen werden, da der THC-Gehalt viel zu niedrig ist. Die Universität besitzt 110 Hektar landwirtschaftliche Fläche, von denen im Wechsel ein Drittel für Versuche und zwei Drittel als herkömmliche Landwirtschaft genutzt werden. Bisher gibt es allerdings noch keinerlei Schätzungen darüber, wie vielen Personen der Medizinalhanf verschrieben wird und welche Mengen gebraucht werden.
Die heilende und die berauschende Wirkung von Cannabis
Der Arbeitskreis Cannabis in der Medizin hat rund 40 Leiden umschrieben, bei denen eine bestimmte Sorte des Hanfs helfen könnte. Cannabis ist der lateinische Name für Hanf, der in der Umgangssprache auch Haschisch oder Marihuana genannt wird. Schon im alten China wurde Hanf als Heilpflanze genutzt.
Vor allem in der Schmerztherapie aber auch bei Multipler Sklerose können Cannabinoide angewandt werden. Erforscht wird noch ihr Einsatz bei Krebs, psychiatrischen Störungen, Epilepsie und entzündlichen Schmerzsyndromen. Im 19. Jahrhundert war Cannabis ein leicht verfügbares Medikament.
Der Gebrauch von Hanf als Rauschmittel ist illegal, allerdings gibt es weltweit den Trend zu einer Legalisierung des Konsums bei Erwachsenen. Einige Bundesländer in den USA sind hier Vorreiter. Bei der Hanfparade am Samstag in Berlin werden Aktivisten auch für dieses Ansinnen auf die Straße gehen.