Sein Berufsleben ist untrennbar mit diesem Gebäude verbunden: Stefan Benning im Stadtmuseum, dem geretteten Haus des Stadtschreibers Sebastian Hornmold. Foto: Simon Granville

Stefan Benning hat das Stadtarchiv Bietigheim-Bissingen geprägt und als Kultur- und Sportamtsleiter das Leben in der Stadt reicher und inspirierender gemacht. Die Stadt ermöglichte ihm ihrerseits eine ungewöhnliche Volte im Berufsleben.

Stefan Benning steht in einem hübschen Fachwerkzimmer und muss lachend zurückdenken. „Hier war mein erster Arbeitsplatz. Da war dieses leichte Gefälle. Man ist immer mit dem Bürostuhl Richtung Schreibtisch gerollt“, sagt er. Das Zimmer ist heute ein Ausstellungsraum im Stadtmuseum im Hornmoldhaus. Und dass just in diesem Augenblick zufällig Günther Bentele vorbeispaziert und einem englischen Gast das Innenleben des mittelalterlichen Prachtbaus zeigt, ist eine erstaunliche Koinzidenz: Ohne den Regionalhistoriker und Autor wäre wohl weder das Vorzeigehaus erhalten geblieben noch wäre Stefan Benning je in Bietigheim-Bissingen gelandet.

Denn der quirlige Kulturamtsleiter – Westfale aus Bocholt, der zwar nicht phonetisch, ansonsten aber ganz und gar im kultursatten Schwaben ankam – startete in Bietigheim-Bissingen vor mehr als 30 Jahren als Stadtarchivar. Die hauptamtliche Stelle schuf die Stadt damals auf Betreiben Benteles, ebenso wie es Benteles Einsatz maßgeblich zu verdanken ist, dass das Haus des einstigen Stadtschreibers Sebastian Hornmold in den 1970er Jahren nicht plattgemacht wurde. Benning, frisch ausgebildeter junger Diplom-Archivar, konnte sich aussuchen, wo er anfangen wollte – der Markt war leer gefegt. Und Bietigheim-Bissingen fand er klasse: „Wir haben bei den Archivalien, weil es keine Kriegsschäden gab, eine sehr gute Überlieferungssituation. Und die Lebensqualität in der Stadt ist wahnsinnig hoch.“

Nicht nur sammeln und konservieren, sondern zeigen

Schon als Stadtarchivar war Benning der Ansatz „Vermittlung als kultureller Kitt“ ein Anliegen. Neben der Sicherung der Dokumente machte er die Stadtgeschichte anschaulich – mit neu entwickelten Führungen, Ausstellungen oder Vorträgen. „Vielleicht bin ich ein verhinderter Lehrer“, scherzt er. 2013 gelang ihm der Sprung zum Kultur- und Sportamtsleiter: Nach einem kurzfristigen Einspringen bei der Organisation des Festivals „Best of Music“ hatte er Blut geleckt. Sein Vorgänger Heinz Steidle ermutigte ihn zu einer Kandidatur, der Gemeinderat wählte ihn.

Mit dem Zuständigkeitswechsel und Aufstieg hatte es seine Besonderheit: Die Stadt Bietigheim-Bissingen, in erster Linie in Person des Oberbürgermeisters Manfred List, ermöglichte es Benning nebenberuflich ein Studium draufzusatteln – auch als Anerkennung für seine Arbeit zum Stadtjubiläum 1989 samt Eröffnung des Stadtmuseums mit seiner stadthistorischen Ausstellung. „Das war total außergewöhnlich und ein großes Entgegenkommen“, erzählt Benning. „Viele dachten sich: Warum tut der sich das an? Aber für mich war’s die Erfüllung.“ Über Jahre studierte er parallel zur Leitungsverantwortung Geschichte und Kunstgeschichte in Stuttgart. „In den Semesterferien habe ich zu 100 Prozent gearbeitet, während der Semester 50 Prozent. Und drei kleine Kinder hatten wir auch noch!“, sagt er lachend. Die Familie hat das alles hinbekommen, und das, obwohl damals noch alles „total analog war“, so Benning. „Ich habe trotzdem vieles von zuhause aus gemacht und hatte den Vorteil, dass ich die alten Schriften lesen und Latein konnte.“ Der Stadt habe er zum Dank immer etwas zurückgeben wollen, sagt er. Er tat es etwa als Leiter von Kursen oder Kulturreisen für die Erwachsenenbildung vor Ort.

Mit Fritz Eckenga versackt und Mitsuko Uchida chauffiert

In seiner Position fühlte sich Benning wie der Fisch im Wasser. Die Stadt kann auf ein kulturaffines Publikum bauen und macht für ihre 42 000 Einwohner – da die Finanzlage lange Zeit hervorragend war – ein ungewöhnlich großzügiges, breit gestreutes Kulturangebot. Eine über die Stadt hinausstrahlende, ambitionierte städtische Galerie, eine erfolgreiche Musikschule, eine im Herzen der Stadt gelegene Bücherei, das Stadtmuseum, Lesungen, Konzerte, Theaterabende: „Was wir den Bürgern hier bieten, ist toll“, schwärmt Benning. Interessante Fußnote: Eine Umfrage ergab, dass selbst solche Bürger das kulturelle Angebot als wesentlich für die Identifikation mit der Stadt werten, die es selbst gar nicht unbedingt nutzen. „Und wir haben ein sehr treues Publikum. Auch wir mussten durch Corona aber Federn lassen“, sagt Benning. Es werde Stehvermögen brauchen, um die verunsicherten Kulturliebhaber wiederzugewinnen.

Aber nicht nur die Besucher, auch die Künstler schätzen das Bietigheimer Pflaster. Dass die japanische Weltklasse-Pianistin Mitsuko Uchida etwa immer wieder in die Kleinstadt kommt, zeuge davon. „Die Begegnungen mit den Künstlerpersönlichkeiten werden mir am intensivsten in Erinnerung bleiben“, glaubt der 65-Jährige. Einmal versackte er so mit dem Autor Fritz Eckenga im Café Galerie, dass die Betreiber gingen und den Schlüssel da ließen. Es gibt aber auch Horror-Erinnerungen: Einmal saßen angetrunkene Jugendliche in einem Gastspiel der Württembergischen Landesbühne. Sie sprengten fast die Vorstellung, die Akteure unterbrachen. „Ich habe Blut und Wasser geschwitzt“, seufzt Benning. „Seitdem gibt’s für Schüler reine Schülervorstellungen.“

Wenn er nun nach einem reichen Arbeitsleben in Ruhestand geht, geht die Arbeit aber weiter: Benning bleibt seiner lieb gewordenen Wahlheimat treu. Er will zu Kunstbesitz in bürgerlichen Bietigheimer Haushalten, zu Sebastian Hornmold oder zur Pest in Bietigheim forschen. Dass ihm mit Michaela Ruof aus Heilbronn eine Frau nachfolgt, findet er prima: „Dann gibt’s auf manche Dinge einen andern Blick und neue Akzente“, sagt Benning. „Frischer Wind tut immer gut.“