Alex Katz „Scott and John“, 1966 Foto: Museum Frieder Burda © VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Das Museum Frieder Burda untersucht in „America! America! How Real is Real“, welche Symbole und Klischees unser heutiges USA-Bild prägen – und wie jenseits sauber gemähter Vorgärten Gewalt und Geschlechterkampf toben.

Baden-Baden - Samstags wird der Rasen gemäht. Mutti steht vermutlich mit Schürze in der Küche und backt für ihre Lieben. Vati kümmert sich ums Grobe – und die Kinder haben nur eine Aufgabe: wohl zu geraten. James Rosenquist musste nicht mehr tun, als einen Vorgarten zu malen. Der Rasen gepflegt, die Büsche getrimmt, der Weg picobello gefegt. Dieses kleine domestizierte Grün auf dem riesigen Gemälde von 1964 zeugt von so kultivierter Langeweile, dass man sofort auf die Bewohner schließt, die hier wohnen könnten und sich vermutlich nur eines wünschen: ein makelloses Leben.

Eine propere Familie, ein guter Job und ein Häuschen im Grünen – ist das der viel beschworene American Dream? Das Museum Frieder Burda in Baden-Baden nimmt sich in seiner neuen Ausstellung „America! America! How Real is Real“ die Bilder und Symbole vor, die unser USA-Bild in den vergangenen Jahrzehnten geprägt haben. Rund siebzig Werke aus den Beständen Frieder Burdas, aber auch von Sammlerkollegen wie Siegfried und Jutta Weishaupt und Josef Froehlich spiegeln den Geist Amerikas – und lassen sich assoziativ mit eigenen Bildern im Kopf verknüpfen. Helmut Friedel, der die Schau kuratiert hat, ist einer der wenigen, die es verstehen, mit einigen Weichenstellungen und einem thematischen Rahmen unmittelbaren Zugang zu den Werken zu ermöglichen und einen Dialog zwischen Betrachter und Arbeiten zu initiieren. Mit leichter Hand hat Friedel auch diesmal wieder eine hochwertige und dabei doch publikumsnahe Ausstellung zusammengestellt.

In den Sechzigerjahren war sogar Andy Warhol noch politisch

Die frühesten Arbeiten stammen aus den Sechzigerjahren, einer Zeit, als sogar Andy Warhol noch politisch war. So führte er in seinem Siebdruck „Little Race Riot“ Polizisten vor, deren Hunde auf einen Schwarzen losgehen, oder prangerte mit dem Abbild des „Big Electric chair“ (1967) eindrücklich die Todesstrafe an. Später lässt Warhol dann auf das Abbild einiger Damenpumps kostbaren Diamantstaub rieseln oder zementiert den Fetischcharakter eines Mercedes-Benz-Rennwagens, indem er ihn gleich mehrfach in Serie auf die Leinwand druckt. 1982 hat Andy Warholübrigens auch Frieder Burdaporträtiert. Aus der Distanz heraus wirkt das allerdings weniger als ironischer Kommentar auf den Kunstbetrieb als wie ein opportunistischer Schulterschluss mit dem Kapital.

Aber auch an den Künstlern scheint die Lust am schönen, guten Dasein eben nicht spurlos vorübergegangen zu sein. Roy Lichtensteins dekorative Pop Art spiegelt das oberflächliche Leben, Alex Katz zeigt in seinem riesigen Gemälde „Beach Stop“ (2001) Freizeitler beim Zwischenstopp am Wasser – und zugleich völlige Belanglosigkeit. Tom Wesselmann hat für sein Wandobjekt „In Alice’s Front Yard“ (1992) ein buntes Blumenmeer gemalt und die Pinselstriche danach als eine Art Relief aus Metall ausgestanzt. Ansprechende, aber zahnlose Kunst.

Hinter den Fassaden lauern Gewalt und Geschlechterkrieg

Doch im zweiten Stock des Burda-Museums beginnt die Idylle des American Dreams gewaltig zu bröckeln. Bei William Copley, diesem großartigen Maler, den das Burda Museum vor fünf Jahren in einer großen Ausstellung auch hierzulande bekannt machte, herrscht Geschlechterkrieg. Mit Revolver in der Hand stehen sich Mann und Frau auf seinem Gemälde „West“ (1974) gegenüber, er mit Hut, sie mit blonder Mähne, ansonsten beide nackt. Ein Bild, das auch schmerzhaft darauf hinweist, dass im Land der großen Freiheit in vielen Wohnzimmerschubladen Waffen liegen.

In Bruce Naumans Video „Violent Incident – Man/Woman Segment“ (1986) geht es sogar noch handfester zur Sache. Eigentlich sollte es ein romantisches Dinner werden, aber sie kippt das Getränk in sein Gesicht und rammt ihm das Knie fies in den Schritt, er sticht mit dem Messer zu – und am Ende liegen beide schmerzgekrümmt am Boden. So schaut sie also aus, die Wirklichkeit hinter den faden Einfamilienhäuschen, die Jeff Wall in einer Fotografie festgehalten hat. Nan Goldin hat in einer Serie AIDS-kranke Freunde fotografiert. Und Robert Longo bringt die Seelenlage des Volkes endgültig auf den Punkt mit einem fotorealistisch gezeichneten Klingelschild – von Prof. Dr. Freud.

Am Ende dieser Reise durch Amerika, die hier Hollywood zitiert und dort Werbeästhetik imitiert, die an die neue Freiheit der Homosexuellen erinnert und an die Diskriminierung der Schwarzen, endet mit einem Blick in die Vergangenheit, der in die Gegenwart verweist. Robert Longo hat 2007 mit Kohle einen riesigen Atompilz gezeichnet. Er bezog sich dabei auf Nagasaki – in Zeiten von Trump wirkt ein solches Horrorszenario allerdings sehr aktuell.

Ausstellung bis 21. Mai, Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr; der Katalog ist in der Edition Cantz erschienen und kostet 38 Euro