Die Flüchtlingszahlen gehen zurück, die Herausforderung bleibt. BAMF-Chef Weise und Innenminister de Maizière bei der Vorstellung der aktuellen Statistik Foto: dpa

Bund, Länder und Kommunen erhalten eine Atempause, denn noch wagt keiner sichere Prognosen, auch nicht Bundesinnenminister de Maizière. Bis zum Sommer soll endlich auch die Registrierung zuverlässig klappen.

Berlin - Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ist, was Flüchtlingszahlen und deren Deutung angeht, ein vorsichtiger Mann geworden. Das mag daran liegen, dass bis weit ins Jahr 2015 hinein so gut wie keine amtliche Statistik auch nur annähernd der Realität entsprach. Folgerichtig gestattete er sich bei der Vorstellung der deutlich gesunkenen Flüchtlingszahlen für die ersten drei Monate des Jahres in seinen Äußerungen auch nur vorsichtig optimistische Anmerkungen. Keinesfalls wollte er davon sprechen, dass die Bundesregierung die Entwicklung schon endgültig im Griff habe, dazu sei vieles noch nicht abzusehen. Aber es zeige sich schon, „dass die nationalen Maßnahmen greifen“. Vielleicht gründet seine Zurückhaltung ja auch darauf, dass er genau weiß, dass solche Aussage von der Realität ähnlich weit entfernt sind wie die viel zu niedrigen Flüchtlingszahlen, die 2015 zunächst veröffentlicht worden waren, denn im Laufe der Pressekonferenz räumt er selbst ein, dass der Rückgang „ganz wesentlich darauf zurückzuführen ist auf die Schließung der Balkan-Route“, die ja offizielle eben gerade nicht im Sinne der Bundesregierung, jedenfalls nicht nach dem Geschmack der Kanzlerin war.

Die Zahlen verschaffen der Regierung etwas Zeit. Im ersten Quartal 2016 registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im so genannten EASY-Registrierungssystem noch 170000 ankommende Flüchtlinge. 2015 waren es im letzten Quartal noch rund 500000, das entspräche einem Rückgang von 66 Prozent. Von Monat zu Monat gingen die Zahl zurück. Von 120000 im Dezember auf 90000 im Januar, 60000 im Februar und schließlich 20000 im März. Auch wenn die EASY-Zahlen noch immer keine verlässliche Grundlage für abschließende Bewertungen sind, so ist die vorläufige Tendenz doch klar: der Flüchtlingszustrom ebbt deutlich ab. Der Tagesdurchschnitt derer, die Tag für Tag nach Deutschland kommen, liege derzeit deutlich unter 200 Flüchtlingen, so de Maizière.

Auch in Baden-Württemberg gehen die Zahlen zurück. Im Januar kamen nach Angaben des Integrationsministeriums 15198 Flüchtlinge an, im Februar 10180, im März nur noch 3317. Sowohl Bund als auch Land wollen aber auf einen erneuten Anstieg vorbereitet sein, sollten die Flüchtlinge beispielsweise auf andere Routen ausweichen. Deshalb werden auch vorerst keine Erstaufnahmeplätze abgebaut, selbst wenn diese vorläufig leer stehen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière will vorerst alle Aufnahmeeinrichtungen erhalten, „so dass sie notfalls wieder geöffnet werden können“.

Zahl der Asylanträge deutlich gestiegen

Anders als die Zahl der Neuankünfte ist die Zahl der Asylanträge bundesweit deutlich gestiegen. 181405 Anträge wurden im ersten Quartal gestellt, ein Anstieg gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahrs um 112,4 Prozent. Das liege daran, dass das BAMF endlich in der Lage sei, Anträge von Flüchtlingen, die schon Monate auf einen Termin gewartet hatten, auch aufzunehmen, sagte BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise. Denn die Bearbeitungsgeschwindigkeit habe deutlich zugelegt. Die Zahl der Entscheidungen ist demnach im Vergleich zum ersten Quartal 2015 in den ersten drei Monaten 2016 von 58046 auf 150233 Personen gestiegen.

Auch bei der Bearbeitungsgeschwindigkeit komme man voran, sagte Weise. Wer in diesen Tagen die Grenze passiere, könne im Durchschnitt mit einer Wartezeit von unter drei Monaten rechnen, je nach Prüfungsaufwand. Die Gesamtstatistik weise zwar noch immer eine deutlich höhere durchschnittliche Bearbeitungsdauer von etwas über sechs Monaten aus, auch das liege laut Weise aber daran, dass viele Altfälle einfließen, die erst nach und nach abgearbeitet werden können.

Noch immer ist de Maizière nicht in der Lage, die Zahl der 2015 nach Deutschland eingereisten Flüchtlinge genau zu beziffern. Im Sommer will man dazu in der Lage sein. Erklärt wird die statistische Unschärfe mit der Unzuverlässigkeit des EASY-Systems. Das bisher einzig verfügbare bundesweite Zentralregister erfasst Flüchtlinge nicht personalisiert. Es registriert bisher lediglich die Erstverteilung eines Flüchtlings auf ein Bundesland nach der Einreise. Reist der Flüchtling in andere Staaten weiter, wie dies im Herbst bei täglich rund 1000 Flüchtlingen der Fall war, wird die Ausreise – damals überwiegend nach Skandinavien – in diesem System gar nicht erfasst. Auch sind Mehrfachregistrierungen möglich, weil ein Flüchtling möglicherweise von zunächst zugewiesenen Bundesland in ein anderes reist und dort erneut erfasst wird. Ein bundesweiter Datenabgleich aller relevanter Ämter samt Flüchtlingsausweis soll künftig für Klarheit sorgen. Die Zahlen für 2015 liegen hingegen erst verlässlich vor, wenn alle Flüchtlinge, die in dieser Zeit kamen und auch verblieben, einen Asylantrag stellen konnten. Eine vorsichtige Schätzung für dieses so genannte „Easy-Gap“ wagte de Maizière gleichwohl. Er glaubt, dass 2015 die endgültige Zahl „mindestens zehn bis 15 Prozent“ unter der vom Easy-System ausgeworfenen Zahl von 1,1 Millionen liegt.