Der „Berliner Patient“ besiegte HIV, weil er Krebs hatte und Stammzellen brauchte.
Berlin - Bislang war er in der internationalen Fachwelt bekannt als "The Berlin Patient", der "Berliner Patient". Nun hat sich der in Berlin lebende US-Bürger Timothy Ray Brown geoutet: Er ist der Mann, der HIV besiegte und über dessen Fall im Februar 2009 im renommierten Fachblatt "New England Journal of Medicine" berichtet wurde. Drei Jahre lebt der Mann, der im Jahr 1995 als HIV-positiv getestet wurde, inzwischen schon ohne den Erreger der gefährlichen Immunschwäche.
Was wie eine Wunderheilung wirken mag, hatte in Wirklichkeit allerdings einen hohen Preis. Denn Brown, der dank der modernen antiretroviralen Therapie (ART) über Jahre mit seiner HIV-Infektion einigermaßen friedlich lebte, bekam im Sommer 2006 eine zweite lebensbedrohliche Erkrankung, eine akute myeloische Leukämie (AML). Im Unterschied zu HIV kann sie in manchen Fällen geheilt werden, führt aber ohne Behandlung schnell zum Tod.
Stammzellen bringen die Heilung von HIV
Bei Brown sah es zunächst so aus, als hätte ihn die Chemotherapie vom Blutkrebs befreit - doch er bekam einen Rückfall. An der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie der Berliner Charité entschied sich das Team um Gero Hütter deshalb für eine Stammzelltherapie. Eine oft lebensrettende, aber radikale, riskante Behandlung, die mit einer erneuten Chemotherapie eingeleitet wird. Damit werden nicht nur die Krebszellen vernichtet, sondern auch Zellen des körpereigenen Immunsystems. Anschließend werden dem Patienten Blutstammzellen eines Spenders transplantiert.
Die Krebsspezialisten von der Charité erkannten in dieser Situation eine bisher unerhörte Chance für ihren doppelt schwerkranken Patienten - für den aufgrund der gängigen Merkmale seines Immunsystems glücklicherweise an die 60 Spender in Frage kamen. Ausgewählt aus diesem Pool wurde der einzige Spender, dessen Immunsystem eine Besonderheit aufweist: Es macht ihn immun gegen HIV. Er gehört nämlich zu jenen ein bis drei Prozent aller Europäer, die von beiden Eltern eine genetische Veränderung geerbt haben, die es dem Virus unmöglich macht, auf einem Rezeptor namens CCR5 anzudocken. Tatsächlich ließ sich schon kurze Zeit nach der Transplantation das Virus nicht mehr im Blut von Brown nachweisen. So ist es bis heute geblieben. Seine Leukämie hatte er damit allerdings noch nicht endgültig besiegt, er musste noch weitere Chemotherapien, eine Ganzkörperbestrahlung und eine Stammzelltransplantation über sich ergehen lassen.
Das Immunschwäche-Virus mit einer Chemotherapie samt Transplantation fremder Blutstammzellen auszumerzen, wie das bei Brown gelungen ist, das wäre im Normalfall eine nicht zu verantwortende Übertherapie. Hütter, der inzwischen beim DRK-Blutspendedienst in Mannheim arbeitet: "Dieser Fall einer natürlichen Gentherapie' steht bisher als Sonderfall da, es gab weltweit auch keinen weiteren." Allerdings habe die Idee, HIV und Aids mittels gezielter Gentherapien zu behandeln, durch den Berliner Erfolg weltweit Auftrieb erhalten.