Tessa Ganserer wurde von Beatrix von Storch als Mann bezeichnet. Foto: epd/Clemens Beckmann

Mit Attacken gegen die Transfrau Tessa Ganserer sorgt die AfD-Politikerin von Storch für einen Eklat. Das ist nicht alles. Weil die Ampelparteien überrascht wurden, gelingt es der AfD, eine wichtige Debatte zu polarisieren, kommentiert Katja Bauer.

Berlin - Es mag seltsam klingen, aber am meisten dürfte sich in diesem Jahr ausgerechnet die AfD über den Frauentag freuen. Dabei hat die Partei mit der Idee der Geschlechtergerechtigkeit nichts am Hut. Die AfD definiert jede Position schlicht als verrückt – gendergaga –, die für Gleichstellung eintritt. Der Partei ist nun gelungen, die Bundestagsdebatte zum Frauentag zu dominieren. Vizefraktionschefin Beatrix von Storch bediente sich dazu der erprobten Technik des kalkulierten Tabubruchs.

 

Die Technik des Tabubruchs

Sie hielt eine Rede, die auf zwei Punkte angelegt war: Zum einen ging es darum, eine Grenzüberschreitung zu nutzen, um maximale Aufmerksamkeit zu erzielen. Zum anderen wollte sie bei einem wichtigen Thema die Debatte aufladen, so dass eine sachliche Auseinandersetzung schwieriger wird.

Storch sprach von einer angeblich totalitären „Transideologie“ und attackierte die grüne Abgeordnete Tessa Ganserer persönlich. Dies tat sie, indem sie sie als „der Kollege Markus Ganserer“ bezeichnete. „Biologisch und juristisch ist und bleibt er ein Mann“, sagt von Storch und nannte es „schlicht rechtswidrig“, dass Ganserer als Frau in den Bundestag eingezogen sei. Er habe sich „als Frau verkleidet“ und damit die Frauenquote der Grünen ad absurdum geführt. Im Bundestag wurde es laut, die Empörung war groß. Die grüne Fraktionschefin Britta Haßelmann wies die Aussagen von Storchs als „niederträchtig“, „homophob und zutiefst menschenverachtend“ zurück. Niemand habe das Recht, darüber zu richten, wie Ganserer ihr Selbstbestimmungsrecht wahrnehme. Es gab viel Applaus, Abgeordnete aller Fraktionen erhoben sich.

Persönlich verletzender Angriff

Der Grund ist klar: Statt inhaltlich kontrovers zu diskutieren, wurde von Storch persönlich verletzend. Die AfD-Frau sprach Ganserer das Recht ab, sich selbst als Frau zu definieren, und nannte sie offensiv bei deren abgelegten männlichen Vornamen – letzteres könnte unter der Regie der Ampel bald unter Strafe stehen.

Die anderen im Empörungsdilemma

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Für von Storch war die Empörung Teil der Kalkulation, die voll aufging: Sie brachte die anderen Parteien ins Empörungsdilemma. Denn es gibt Grenzverletzungen, bei denen die anderen Fraktionen sich genötigt sehen, einzuschreiten. So eine war dies. Von Storchs Rede verbreitete sich ohnehin blitzschnell in den sozialen Netzwerken und erzeugte die gewünschte Aufmerksamkeit. Die Empörung der Grünen verbreitete sich ebenfalls, auch weil man in der eigenen Bubble gut fand, dagegenzuhalten. Unterm Strich zahlte das trotzdem für von Storch ein. Denn sie hatte die Debatte dominiert, von der die Ampel an dieser Stelle überrascht wurde.

Die Ampel hat den Diskussionsbedarf vergessen

Dabei hätte die Koalition frühzeitig sehen müssen, dass ihre fortschrittliche Gesellschaftspolitik an vielen Stellen Diskussionsbedarf aufwirft, weil einige Punkte noch gar nicht breit debattiert sind.

Die Koalition plant zum Beispiel, das bisherige Transsexuellengesetz durch ein Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen. Bisher braucht man für eine juristische Änderung des Geschlechts ein Verfahren mit Gutachten und Gerichtsentscheid. Das kann man mit Fug und Recht als entwürdigend betrachten. Künftig könnte möglicherweise jeder das eigene Geschlecht durch Eintrag beim Standesamt festlegen.

Jede Menge Fragen sind offen

Tessa Ganserer hat 2019 öffentlich gemacht, dass sie sich nicht dem männlichen Geschlecht zugehörig fühlt, das ihr bei der Geburt zugeschrieben wurde. Ganserer lehnt das Transsexuellengesetz ab und stand deshalb als Mann auf dem Wahlzettel, aber in ihrer Partei auf einem Frauenplatz.

Der Plan einer rechtlichen Neuregelung trifft aber nicht allein Transmenschen – er wirft jede Menge gesellschaftlicher Fragen auf. Wie definieren wir Geschlecht juristisch und biologisch? Wann ist eine Frau eine Frau? Welche Rolle spielt das selbstdefinierte Geschlecht bei der Gleichstellung?

Die Debatte aufladen heißt, sie zu erschweren

Indem die AfD hier proaktiv in die Debatte eintrat und das ganze Thema als totalitäre Ideologie abstempelte, konnte sie nach längerer Durststrecke mal wieder mit ihrem Kernthema des Kulturkampfes punkten.

Aber noch etwas ist hier passiert. Und das ist das eigentliche Problem. Viel ist von einer gesellschaftlichen Polarisierung die Rede. An diesem Beispiel zeigt sich, was das meint: nämlich das bewusste emotionale Aufladen einer Debatte mit Übertreibungen. Und zwar bei einem Thema, zu dem viele vielleicht noch gar keine Meinung haben, weil sie sich noch nicht damit beschäftigt haben. Und bei einem Thema, zu dem es durchaus viele offene Fragen gibt. Das so verschärfte Klima aber führt zu der Sorge, mit der eigenen Sicht sofort in der einen oder anderen Ecke zu stehen. So macht man einen Diskurs kaputt.