Andrea Nahles. Foto: Getty Images Europe

Die abschlagfreie Rente ab 63 soll nach dem Willen der Regierung nicht dazu missbraucht werden können, Ältere mit 61 in die Arbeitslosigkeit zu schicken. Psychische Leiden sind weiterhin der häufigste Grund zur Frühverrentung – im Schnitt mit 49 Jahren.

Die abschlagfreie Rente ab 63 soll nach dem Willen der Regierung nicht dazu missbraucht werden können, Ältere mit 61 in die Arbeitslosigkeit zu schicken. Psychische Leiden sind weiterhin der häufigste Grund zur Frühverrentung – im Schnitt mit 49 Jahren.

Berlin - Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will verhindern, dass die Rente ab 63 für langjährig Versicherte für eine neue Frühverrentungswelle missbraucht wird. Das Problem stellt sich, weil auch Zeiten von Kurzzeitarbeitslosigkeit für die Neuregelung anerkannt werden sollen. Damit wäre schon für 61-Jährige der Weg in die abschlagfreie Rente frei, wenn sie die letzten beiden Jahre Arbeitslosengeld I beziehen.

Um dieser Praxis einen Riegel vorzuschieben, soll im parlamentarischen Verfahren geprüft werden, „ob und wie eine Frühverrentung durch eine verfassungskonforme Regelung verhindert werden kann“. Das geht aus dem Begleitschreiben zum Gesetzentwurf hervor, der an diesem Mittwoch vom Kabinett beschlossen werden soll.

Die Rente ab 63 bedeute – heißt es in der Entwurfsbegründung ausdrücklich – „keine Rückkehr zur Frühverrentungspolitik der achtziger und neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts“. Diese Sorge war in Kreisen der Union und der Wirtschaft laut geworden, verbunden mit der Forderung, Arbeitslosigkeit vor der Rente aus der Regelung auszunehmen. So soll nun im parlamentarischen Verfahren geprüft werden, „ob und wie eine Frühverrentung durch eine verfassungskonforme Regelung verhindert werden kann“. So mussten Arbeitgeber etwa bis 2006 den Sozialversicherungen Entschädigung zahlen, wenn sie Ältere in die Arbeitslosigkeit gedrängt haben. Ohnehin dürften viele Firmen wegen des Fachkräftemangels derzeit wenig Interesse haben, sich vorzeitig von gut ausgebildeten Mitarbeitern zu trennen.

Schwarz-Rot plant weiter, dass vom 1. Juli an Arbeitnehmer mit 63 Jahren abschlagfrei in Rente gehen können, wenn sie 45 Beitragsjahre voll haben. In den 45 Jahren können auch kürzere Zeiten von Arbeitslosigkeit enthalten sein. Darüber hinaus sieht das Paket eine bessere finanzielle Anerkennung von Kindererziehungszeiten bei Geburten vor 1992 vor. Dritter Punkt ist eine Aufstockung der Renten von Erwerbsgeminderten. Die Gesamtkosten für die Leistungsverbesserungen belaufen sich auf jährlich neun bis elf Milliarden Euro. Die sollen zunächst aus der gut gefüllten Rentenkasse bezahlt werden.

Während die Mütterrenten und die Änderungen bei der Erwerbsminderungsrente als technisch einigermaßen problemlos umsetzbar gelten, dürfte es beim Thema abschlagfreie Rente mit 63 für langjährig Versicherte noch viel Aufregung im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens geben.

Nach der Kabinettsbehandlung geht der Gesetzentwurf in die Fachausschüsse des Bundestags. Die Abgeordneten werden dort versuchen, Änderungen durchzusetzen.

Bei der Rente mit 63 gibt es noch handfeste Meinungsunterschiede zwischen den Koalitionären. Die Union ist etwa der Meinung, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit nur bis zu fünf Jahren anerkannt werden sollen. Der Gesetzentwurf, den das SPD-geführte Arbeitsministerium erarbeitet hat, geht nun aber einen anderen Weg: Grundsätzlich sollen Zeiten der Arbeitslosigkeit in die 45 Beitragsjahre eingehen, wenn der Betroffene kein Langzeitarbeitsloser war, also nicht Arbeitslosengeld bezog und nicht eine steuerfinanzierte Leistung wie das heutige Arbeitslosengeld II oder die frühere Arbeitslosenhilfe.

Die Rentenversicherung hat in diesem Punkt bemängelt, dass in der Verwaltung gar nicht die Daten vorhanden sind, um zu unterscheiden, ob jemand zwischen 1978 und 2001 Arbeitslosenhilfe oder Arbeitslosengeld bekam. Zunächst hatte das Ministerium hier den Fachleuten von der Rentenversicherung vehement widersprochen, doch inzwischen hat es das Datenproblem eingeräumt. Im Gesetzesentwurf ist nun vorgesehen, dass in Zweifelsfällen, etwa wenn ein Betroffener nicht mehr die nötigen Unterlagen beibringen kann, auch das Ehrenwort des Antragstellers gelten soll. Eine eidesstattliche Versicherung solle notfalls als Nachweis dienen.

Wegen psychischer Erkrankungen werden immer häufiger Arbeitnehmer zu Frührentnern. Die Zahl der Betroffenen stieg innerhalb von zehn Jahren um rund 25 000 auf 75 000 im Jahr 2012. Im Schnitt sind die Menschen dann erst 49 Jahre alt, wie die Psychotherapeutenkammer unter Berufung auf die Rentenversicherung mitteilte.

„Psychisch kranke Frührentner werden praktisch abgeschrieben“, kritisierte Kammerpräsident Rainer Richter. Dabei könnte vielen Kranken mit besserer Behandlung oder mehr Rehabilitation geholfen werden. Arbeit sei nicht nur belastend, sondern könne Betroffene auch stabilisieren, wenn die Leiden angemessen behandelt werden. In Deutschland bekomme nur jeder dritte psychisch Kranke eine Therapie.

Mit den geburtenstarken Jahrgängen erreichen bis 2029 rund 20 Millionen Menschen das Rentenalter. Arbeitnehmer und Arbeitgeber stellen sich den Übergang in den Ruhestand aber sehr unterschiedlich vor. Von den 45- bis 60-Jährigen wollen einer Umfrage zufolge nur 28 Prozent bis zum gesetzlichen Rentenalter voll erwerbstätig bleiben. Die Arbeitgeber gehen davon aus, dass 61 Prozent ihrer Mitarbeiter bis zum Schluss ganztags arbeiten, wie die in Frankfurt vorgestellte GfK-Umfrage „Arbeit und Alter“ ergab. Gut jeder vierte (26 Prozent) Befragte will vor der Rente nur noch Teilzeit arbeiten, und etwa jeder dritte (34 Prozent) zwar weiter voll arbeiten, aber vorzeitig in Rente gehen.