Eine Erbenermittlerin beim Durchforsten historischer Dokumente Foto: Jürgen Bock

Wenn jemand ohne Erben stirbt, darf der Staat sich nicht wegducken. Denn dann können schwere Fehler passieren.

Stuttgart - Die Gesellschaft altert. Zugleich wird sie immer anonymer. Erschreckend viele Menschen leben allein, ohne nähere Verwandte oder enge Freunde, die über ihre Verhältnisse Bescheid wissen und sich kümmern könnten. Das gilt auch und ganz besonders im Tod. Allein die Stadt Stuttgart hat im vergangenen Jahr 400 Bestattungen übernehmen müssen, weil niemand sich darum kümmern konnte oder wollte. Tendenz steigend.

Stirbt jemand, lässt er immer materielle Dinge zurück. Eine Mietwohnung, die gekündigt werden muss. Möbel. Ein Bankkonto. Persönliche Gegenstände. Sind keine Erben bekannt, kümmert sich in Baden-Württemberg und den meisten anderen Bundesländern in vielen Fällen schlicht niemand darum. Im Südwesten ist das seit einer Gesetzesänderung 2015 so. Bis dahin bestand eine Erbenermittlungspflicht. Nachlasspfleger kümmerten sich um die Abwicklung aller nötigen Dinge, halfen damit auch Vermietern oder entfernten Verwandten, die sie aufspürten und informierten. Heute passiert das nicht mehr, sofern nicht auf den ersten Blick mögliche Erben oder Vermögenswerte erkennbar sind. Die Akte ist geschlossen, der Verstorbene ist ein zweites Mal gestorben – für den Staat, dem Überbleibsel eines Lebens gleichgültig sind.

Diese Praxis ist unwürdig und lässt alle, die mit dem Verstorbenen zu tun und noch offene Fragen haben, allein zurück. Aber mehr noch: Fehler sind programmiert. Wenn kein Nachlasspfleger mehr eine Wohnung auflöst, werden mögliche Erben nie erfahren, dass sich dort noch Bargeld findet. Das Land zieht sich damit aus der Verantwortung zurück. Das sollte es nicht tun. Und die Lehre für uns alle lautet: Wer nicht will, dass nach seinem Ende Chaos herrscht, sollte frühzeitig alle wichtigen Dinge regeln.

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