Evas Stall findet an Heilig Abend draußen statt. Faton Dallku und Birgit Auer werden dabei sein, wenn es Essen und Rucksäcke zu verteilen gibt. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Seit 75 Jahren lädt die Evangelische Gesellschaft zur Weihnachtsfeier Evas Stall für Einsame und Bedürftige ein. Im Jubiläumsjahr ist pandemiebedingt vieles anders als gewohnt. Der Gottesdienst wird draußen auf der abgesperrten Straße abgehalten, dort gibt es auch ein warmes Essen. Verweilen darf man nicht.

Stuttgart - Kein Stimmengewirr und Stühlerücken, kein Geschirrklappern, kein Singen und Lachen wird in diesem Jahr am Heiligen Abend aus dem Großen Saal der Diakonie dringen. Normalweise findet hier am 24. Dezember und am 1. Weihnachtsfeiertag traditionell Evas Stall statt, die Weihnachtsfeier für Einsame und Bedürftige. An diesem Donnerstag bleiben die Tische im Saal ungedeckt und undekoriert. Hunderte Menschen dicht an dicht im geschlossenen Raum – das ist in Corona-Zeiten nicht möglich. Das heißt jedoch nicht, dass Evas Stall ausfiele. Seit 75 Jahren gibt es die besondere Feier. Auch im Pandemiejahr lebt die Tradition weiter: nur auf völlig andere Art.

„Wir haben Euch nicht vergessen“, diese Botschaft ist der Stadtmission der Evangelischen Gesellschaft (Eva) wichtig, wie die Leiterin Birgit Auer sagt. Ein geselliges Beisammensein bei Kaffee und Gutsle, Kartoffelsalat und Würstchen ist aus Gründen des Infektionsschutzes jedoch ausgeschlossen. Die Stadt Stuttgart habe Evas Stall als religiöse Veranstaltung genehmigt, sagt sie. Statt im Großen Saal wird an beiden Tagen auf die Büchsenstraße geladen, die entsprechend vor dem Haus der Diakonie gesperrt sein wird. „Wir wollen, dass es den vulnerablen Gruppen gut geht, dass sie gut durch die Krise kommen“, betont Auer.

Evas Stall feierte Weihnachten 1945 Premiere

In einem dunklen, Krisenjahr liegt auch der Ursprung von Evas Stall. 1945 lag Stuttgart in Trümmern. Ein Festessen oder gar Geschenke überstieg die Möglichkeit von vielen. Das war Anlass für die Eva, im Nachkriegswinter zum ersten Mal hungernde und frierende Menschen zur Weihnachtsfeier, zu ihrem Stall einzuladen. Es sollte der Beginn einer langen Tradition sein. Viele hundert Menschen hat die Stadtmission seither jedes Jahr zu Weihnachten beköstigt, zuletzt um die 700 pro Tag. Unzählige Ehrenamtliche halfen mit, damit alles reibungslos funktioniert hat. Teils haben ältere Damen das ganze Jahr über gestrickt, damit Wohnungslose bei Evas Stall Socken und Mützen geschenkt werden konnten. Wobei die Eva das inzwischen nicht mehr fördert – die vorhandenen Strickwaren übersteigen die Nachfrage.

Auch 2020 wird wegen der Pandemie in die Geschichtsbücher eingehen. Wie viele Bedürftige den Weg an den beiden Tagen zu ihnen finden werden, ist unklar. Vielleicht sind es 200 pro Tag, vielleicht 300 oder 400. Die Wohnungslosen werden sicher kommen. Auch die Stadt Stuttgart habe ein hohes Interesse daran, dass sie diese mit etwas Warmem zu essen versorgten, sagt die Diakonin, die zum ersten Mal Evas Stall verantwortet. „Es ist in jedem Fall genug für alle da“, verspricht Faton Dallku aus der Hauswirtschaft. Er ist ursprünglich vor 17 Jahren als Ehrenamtlicher zum Stall gestoßen. Der gebürtige Kosovare half beim Spülen und fühlte sich willkommen.

Es melden sich mehr Ehrenamtliche als sie benötigen

Als er hörte, dass die Stadtmission eine Kraft für die Hauswirtschaft sucht, bewarb er sich. Auch als hauptamtlicher Mitarbeiter hat er kein Weihnachten „im Stall“ verpasst. „Wir sind wie eine Familie hier“, sagt er. Die Weihnachtsfeier ist für ihn eine gesellschaftliche Pflicht. Statt um 7 Uhr morgens, wie üblich, wird er an diesem Donnerstag etwas später in die Büchsenstraße kommen. Schließlich muss er den Saal nicht vorbereiten. Sie benötigen kein Geschirr, das Essen vom Rudolf-Sophien-Stift wird verpackt ausgegeben: Heiligabend gibt es Kartoffelsalat mit Würtchen – das Gericht sei eine der wenigen Traditionen, an denen sie festhalten könnten, so Auer. In den vergangenen Wochen musste sie die Pläne für Evas Stall immer wieder ändern. Auch die Ehrenamtlichen hat sie auf dem Laufenden gehalten. Viele haben ihr geschrieben: dass sie bei dieser sozialen Aktion in dieser Zeit ganz bewusst dabei sein wollten. „Wir haben sogar zu viele Ehrenamtliche“, sagt Auer.

Auch der Gottesdienst findet im Freien statt

Von 16 bis 18 Uhr findet Evas Stall an diesem Donnerstag statt, am Freitag geht es um 11.30 Uhr los. Den kurzen Gottesdienst im Freien werden der Vorstandsvorsitzende der Eva, Pfarrer Klaus Käpplinger, und Pfarrerin Stephanie Pfander gestalten. Ein zweistündiger Aufenthalt werde nicht möglich sein, sagt die Diakonin, man müsse die Menschen „herzlich“ durchschleusen, um ihnen Essen und das diesjährige Geschenk (einen gefüllten Rucksack) zu überreichen. Das Essen darf nicht vor Ort gegessen werden. Damit die Menschen nicht verweilen, haben sie zudem „schweren Herzens“ der Gruppe „Dein Theater“ abgesagt. Das Ensemble tritt erstmals seit fast 40 Jahren nicht bei Evas Stall auf. Man dürfe nicht zum längeren Verbleib motivieren, erklärt Auer.

Die Gemeinschaft, sich nicht alleine zu fühlen, was Evas Stall eigentlich ausmacht, könne diesmal leider nicht gelebt werden. Das schmerzt sie sehr. Doch auch die Mahlzeiten seien wichtig. „Wir müssen gucken, dass die Leute nicht hungern“, betont sie.