Die öko-soziale Mehrheit im Gemeinderat fordert ein pauschales Tempolimit vor Schulen. Die Stadt Stuttgart dämpft allerdings zu hohe Erwartungen. Foto: dpa

Die Stuttgarter SPD fordert grundsätzlich Tempo 30 vor Schulen. Geht nicht überall, hält Martin Schairer dem entgegen. Laut dem Ordnungsbürgermeister gibt es 38 Kandidaten, die für ein Tempolimit infrage kommen könnten. Zurzeit prüft die Stadt die Machbarkeit.

Stuttgart - An der Ziffer 30 scheiden sich in Stuttgart die Geister, wie eine Debatte im Gemeinderatsausschuss für Umwelt und Technik belegt. Für die einen, namentlich die Grünen, die SPD und die Fraktion SÖS/Die Linke, ist Tempo 30 gleichbedeutend mit weniger Autoabgasen, mehr Sicherheit, mehr Lebensqualität. Die anderen, CDU, Freie Wähler und FDP, befürchten mehr Staus, weniger Sicherheit, weniger Lebensqualität.

Auslöser der Diskussion war ein Antrag der SPD, in dem die Partei grundsätzlich Tempo 30 vor Schulen fordert. In Einzelfällen solle die Stadt auch die Situation vor Kindertagesstätten und Spielplätzen prüfen. Stuttgart sei „autofreundlich, aber nicht fußgängerfreundlich, also auch nicht kinderfreundlich“, so SPD-Fraktionschefin Roswitha Blind. Eltern hätten Angst um ihre Kinder im Straßenverkehr.

Ein pauschales Tempolimit lehnt die Straßenverkehrsbehörde der Stadt jedoch ab. „Aber wo es möglich ist, machen wir Tempo 30“, sagte Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) – durchaus in Anlehnung an den Plan von Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne), abgestufte Tempolimits einzuführen.

Aus einer Liste von 149 Schulen an sogenannten Vorbehaltsstraßen, Straßen mit Durchgangsverkehr, hat die Stadt 38 herausgefiltert, für die Tempo 30 geprüft wird. Mit sechs Schulen sei man bereits im Gespräch. Besprochen würde dabei nicht nur das Aufstellen von Verkehrszeichen, die Straßen müssten dort auch entsprechend umgebaut werden.

Komplizierte Rechtslage

Der Prozess befinde sich aber erst am Beginn, sagte ein Mitarbeiter des Ordnungsamts den Stuttgarter Nachrichten. Um keine falschen Erwartungen zu wecken, wolle die Stadt die Namen der Schulen zum jetzigen Zeitpunkt nicht öffentlich benennen. Rechtlich ist es in der Tat kompliziert, Tempo 30 auf Durchgangsstraßen einzuführen. Denn wie in vielen Bereichen müssen auch hier individuelle Vorgaben von Kommunen und Ländern mit Bundesrecht in Einklang sein. „Die Straßenverkehrordnung umzusetzen stellt eine Weisungsaufgabe des Bundes dar“, sagt der Mitarbeiter der Stuttgarter Straßenverkehrsbehörde: „Stadträte haben oft keine Ahnung von den Spielräumen der Behörden.“

Die SPD stützt ihre Forderung auf die Situation in Nordrhein-Westfalen. So ermögliche dort ein 20 Jahre alter Erlass der Landesregierung etwa in Oberhausen tagsüber Tempo 30 vor Grundschulen, Kindertagesstätten, Spiel- und Bolzplätzen. Dass ein solcher Erlass in Baden-Württemberg fehlt, sieht die SPD nicht als Hindernis. In Nürnberg hatte der Gemeinderat 2011 einstimmig Tempo 30 vor Schulen beschlossen – ohne entsprechenden Pauschalerlass des Landes. Ein Autofahrer war sogar vor dem Verwaltungsgericht in Ansbach mit einer Klage gescheitert, nachdem er vor einer Nürnberger Schule geblitzt worden war. Autoverkehr vor Schulen führe zwangsläufig zu gefährlichen Situationen, weshalb Tempo 30 grundsätzlich möglich sei, so die Begründung der Richter. Für die Stuttgarter SPD „eine Zeitenwende“ in der Verkehrsrechtsprechung.

Die Straßenverkehrsordnung erlaubt durchaus Tempo 30 auf Durchgangsstraßen, wenn es die Verkehrssituation erfordert (nicht zu verwechseln mit Tempo-30-Zonen, die für ganze Quartiere eine reduzierte Geschwindigkeit vorschreiben). Ordnungsbürgermeister Martin Schairer sprach am Dienstag aber „von einem Scheinproblem“. Auf 1500 Straßenkilometern in Stuttgart gelte in zwei Dritteln der Fälle heute schon Tempo 30. „Die große Masse der Schulen liegt in Tempo-30-Zonen.“ Die Forderung, vor Schulen die Geschwindigkeit pauschal zu reduzieren, nannte Martin Schairer populistisch.

„Auf einer sechsspurigen Hauptstraße Tempo 30 einzuführen ist absurd“

Die Stadt Stuttgart handhabt ihren Ermessensspielraum hier bisher eher im Sinne des fließenden Verkehrs. So begründete der Ordnungsbürgermeister seine Skepsis mit dem Beispiel des Gymnasiums Königin-Katharina-Stift an der Ecke Schiller-/Hauptstätter Straße: „Auf einer sechsspurigen Hauptstraße Tempo 30 einzuführen ist absurd.“ Bei den besagten 38 Schulen wird nun geprüft, ob beispielsweise durch Tempo 30 die Leistungsfähigkeit des Straßennetzes beeinträchtigt wird oder wie an diesen Schulen der städtische Schulwegeplan vom Durchgangsverkehr berührt ist. Wie die Stadt seit Jahren die Schulwege definiere, sei bundesweit vorbildlich, so Schairer.

Der Ordnungsbürgermeister lag mit seiner Einschätzung am Dienstag ganz auf der Linie der bürgerlichen Fraktionen. Zu viel Tempo 30, wo bisher 50 erlaubt sei, produziere „verschärften Schleichverkehr“, sagte CDU-Fraktionschef Alexander Kotz. FDP-Stadtrat Günter Stübel fragte sich gar, ob hier nicht „durch die Hintertür“ Tempo 30 auf allen Stuttgarter Straßen eingeführt werden solle. Jochen Stopper von den Grünen sagte an Schairers Adresse, die Routen der Schulwegpläne seien oft genug zugeparkt, „man dürfe also nicht so tun, als sei alles in Ordnung“. Im „bewohnten Bereich“ forderte Stopper grundsätzlich Tempo 30. Das System der Vorbehaltsstraßen in Stuttgart, an denen zunächst Tempo 50 gelte, wolle er nicht infrage stellen, so Schairer.