Das Mini-Museum lockte bereits 6000 Besucher an Foto: Wanzeck

Ein Vierteljahrhundert ist vergangen, seit die Studentenproteste auf dem Pekinger Tiananmen-Platz ein blutiges Ende fanden. Noch immer ist die Tragödie in China ein Tabuthema. Nun wurde in Hongkong das erste Gedenkmuseum eröffnet. Seine Organisatoren wollen nicht vergessen.

Ein Vierteljahrhundert ist vergangen, seit die Studentenproteste auf dem Pekinger Tiananmen-Platz ein blutiges Ende fanden. Noch immer ist die Tragödie in China ein Tabuthema. Nun wurde in Hongkong das erste Gedenkmuseum eröffnet. Seine Organisatoren wollen nicht vergessen.

Hongkong - Shorts, Wanderrucksack, Schweißtuch, so stapft das Touristenpaar durch Hongkongs Häuserschluchten. Es ist eine heikle Expedition. Der Mann und die Frau, Mittvierziger aus der zentralchinesischen Metropole Wuhan, haben von Freunden erfahren, dass es hier etwas Unerhörtes, in ihrer Heimat Verbotenes zu sehen gibt: das 4.-Juni-Museum. Es ist den Ereignissen auf dem Pekinger Tiananmen-Platz, dem Platz des Himmlischen Friedens, gewidmet, die vor 25 Jahren China und die Welt den Atem anhalten ließen.

Hunderttausende Menschen hatten sich auf dem Platz versammelt, forderten demokratische Reformen, Meinungs- und Pressefreiheit. Studenten, Arbeiter, Beamte – die Aufbruchstimmung ergriff immer weitere Teile der Gesellschaft. Die Musiker des Pekinger Symphonieorchesters brachten ihre Instrumente auf den Platz und spielten Beethovens Ode an die Freude.

Am 31. Mai 1989 errichteten Kunststudenten eine weiße, sieben Meter hohe Statue aus Pappmaché, die, wie eine Schwester der Freiheitsstatue, eine Fackel in den Himmel reckte. Für drei Tage war diese „Göttin der Demokratie“ auf Augenhöhe mit dem überlebensgroßen Porträt von Mao Tse-tung, das den Platz noch heute überblickt. Die Statue fiel, als in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni die Panzer der Volksarmee losrollten und Hunderte Demonstranten starben.

Noch immer herrscht eisernes Schweigen

Ein Vierteljahrhundert später scheint China den Atem noch immer anzuhalten. Was 1989 passierte, darüber herrscht eisernes Schweigen. Zeitungen und Schulbücher in Festlandchina verlieren darüber kein Wort. Öffentliche Gedenkveranstaltungen sind verboten. Internetseiten oder Mitteilungen des chinesischen Kurznachrichtendienstes Weibo zu diesem Thema werden mit viel Aufwand zensiert. „In China gibt es nur eine einzige Stimme“, sagt der Tourist aus Wuhan. Wenn diese Stimme schweigt, herrscht im ganzen Land Stille – zumindest offiziell. Eine Ausnahme ist die ehemalige britische Kolonie Hongkong, wo noch immer Sonderrechte wie Presse- und Versammlungsfreiheit gelten.

Eine Seitenstraße, ein unscheinbarer Hauseingang, eingezwängt zwischen zwei Kneipen: Endlich ist das Museum gefunden, von dem sein Kurator sagt, es sei das wahrscheinlich kleinste, doch vermutlich auch das einflussreichste der Welt. Erreichbar ist es über einen Aufzug. Es befindet sich im fünften Stock. Am Eingang des Museums, auf einer Spendenbox, steht eine weiße Miniaturstatue. Sie reckt eine Fackel in die Höhe.

„Wir müssen uns gegen den Versuch der Kommunistischen Partei auflehnen, das Geschehene aus der Geschichte zu tilgen“, sagt Lee Cheuk-yan, einer der Initiatoren des Museums. Lee ist Gewerkschaftsführer, Mitglied des Legislativsrats von Hongkong und Vorsitzender der im Mai 1989 gegründeten Organisation „Hongkonger Allianz zur Unterstützung der patriotischen demokratischen Bewegungen in China“. Ende April öffnete das Mini-Museum seine Pforten. Seitdem kamen rund 6000 Besucher.

Auf 75 Quadratmetern voller Originaldokumente, Fotos, Augenzeugenberichten erwacht die totgeschwiegene Zeit zu neuem, beklemmendem Leben. In einem dunklen Nebenraum sind 15 Plastikstühle aufgestellt und eine Leinwand: Mütter erzählen in Endlosschleifen, wie ihre Kinder in jener Nacht nicht nach Hause kamen. Wie übel sie zugerichtet waren und wie sie stanken in der Leichenschauhalle.

"Man solle doch nicht in alten Wunden bohren"

„Es gibt Leute in China, die sagen uns, man solle doch nicht in alten Wunden bohren und die Geschichte Geschichte sein lassen“, erzählt Johnny Li, 33, einer von drei Angestellten des Museums. „Interessanterweise sind das oft genau diejenigen, die keinesfalls die japanische Invasion Chinas im Zweiten Weltkrieg vergessen wollen.“

Viele Museumsbesucher haben eine persönliche Beziehung zum 4. Juni 1989, wie das Touristenpaar aus Wuhan, das die Proteste seiner Pekinger Kommilitonen als junge Universitätsabsolventen damals aus der Ferne, aber mit viel Sympathie verfolgte. Andere, sagt Johnny Li, wollten einfach wissen, was damals passiert ist. Wie es so weit kommen konnte. Was aus den Anführern der Protestbewegung wurde. Besonders jüngere Festlandchinesen wissen bisweilen wenig.

Li selbst war acht Jahre alt, als es passierte. Lehrer sprachen von „Aktivitäten“, die in Peking vor sich gehen. Das Hongkonger Fernsehen unterbrach Lis heiß geliebte Cartoons für Sondersendungen. Seine Eltern mieden das Thema: Politik sei schmutzig, korrupt, gefährlich. Später sprach er mit Freunden über die „Aktivitäten“, las Geschichtsbücher. So wurde, trotz aller Warnungen, sein politisches Interesse geweckt. Und so landete er letztlich in dem Museum, das dieser Tage im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit Chinas steht – was man auch daran merkt, dass die Website des Museums derzeit auch in Hongkong nur noch schwer zugänglich ist.

„Diese Internetangriffe waren zu erwarten“, sagt Li – er lächelt dabei. Und dann erzählt er die Geschichte, wie ihn vor zwei Tagen dieser Besucher aus Peking angesprochen hatte. Er arbeite für die Zensurbehörde, flüsterte er Li zu. Dabei seien ihm auch einige Kurznachrichten über das 4.-Juni-Museum untergekommen. Die habe er natürlich umgehend gelöscht. Nun wolle er aber einmal mit eigenen Augen sehen, was seine Regierung den Bürgern mit allen Mitteln vorenthalten möchte.

„Schluss mit der Unterdrückung, die heute stärker ist denn je!“

Lis Vorgesetzten, Gewerkschaftsführer Lee Cheuk-yan, zieht es derweil aus dem Museum auf die Straßen Hongkongs. Wie jedes Jahr organisiert er kurz vor dem 4. Juni einen Protestmarsch. Rund 3000 Menschen versammeln sich an diesem Nachmittag im Victoria-Park für einen Demonstrationszug zum Hongkonger Regierungssitz. „Schluss mit der chinesischen Einparteienherrschaft!“, ruft Lee in die Menge. In der gleißenden Nachmittagssonne rinnt ihm der Schweiß in die Augen. „Schluss mit der Unterdrückung, die heute stärker ist denn je!“

Wenn er das sagt, hat er Fälle im Sinn wie den von Yang Jianli, der im April der Museumseröffnung beiwohnen wollte. Dem Teilnehmer der Tiananmen-Proteste, der seit langem im US-Exil lebt, wurde am Hongkonger Flughafen die Einreise verweigert. Auch an Liu Xiaobo denkt er natürlich, den inhaftierten Friedensnobelpreisträger, der 1989, kurz vor der Niederschlagung der Proteste, auf dem Tiananmen-Platz in den Hungerstreik getreten war.

Lee Cheuk-yan selbst war 1989 ebenfalls nach Peking gereist, mit Spendengeldern aus Hongkong, um die Demokratiebewegung zu unterstützen. Er wurde festgenommen, das Geld konfisziert. Doch er verstummte nicht und beweist seitdem einen langen Atem. „Wir in Hongkong haben die Pflicht, die Stimme für jene zu erheben, die in China zum Schweigen gebracht werden.“