Der Klimawandel ist nicht nur für Inselstaaten eine Bedrohung. Foto: dpa/Friedel Gierth

Am 11. Dezember 1997 wurde in Kyoto das erste globale Klimaschutzabkommen verabschiedet. Der Umweltjurist Hermann Ott erklärt, warum die Emissionen trotzdem weiter gestiegen sind – und warum die Klimakonferenz in Scharm el-Scheich mehr gebracht hat als viele denken.

Hermann Ott leitet die deutsche Niederlassung der Umweltrechtsorganisation Client Earth. Er plädiert dafür, dass ambitionierte Staaten in Kampf gegen den Klimawandel voranschreiten.

Herr Ott, vor 25 Jahren wurde das Kyoto-Protokoll beschlossen. Trotzdem sind die Treibhausgasemissionen weiter gestiegen. Ist Kyoto gescheitert?

Das Abkommen hat immerhin dazu geführt, dass die Industriestaaten ihre Emissionen gesenkt haben – sogar stärker als vereinbart. Es wurden aber keine Minderungsziele für Entwicklungs- und Schwellenländer festgelegt.

Deren Emissionen sind massiv gestiegen, sodass sich der weltweite Ausstoß seit 1990 um mehr als 60 Prozent erhöht hat. In der Gesamtbilanz war Kyoto deshalb kein Erfolg. Auch 2009 in Kopenhagen ist es nicht gelungen, die Pflichten zur Emissionsminderung auf weitere Staaten auszuweiten.

Liegt der Anstieg in Schwellenländern nicht auch daran, dass CO2-intensive Produktionen dorthin verlagert wurden?

Es war ein Webfehler des Kyoto-Protokolls, dass es nur die Emissionen auf dem Territorium eines Staats berücksichtigt, nicht aber jene, die bei der Herstellung importierter Waren entstehen. Das wurde bis heute nicht befriedigend geregelt.

Unterm Strich sind Produktionsverlagerungen aber für den kleineren Teil des Emissionsanstiegs in Schwellenländern verantwortlich.

Wie lässt sich der Rest erklären?

Viele Schwellenländer haben auf alte, schmutzige Industrien gesetzt statt auf umweltfreundliche Technologien und Energieeffizienz. Dabei ist unter Wissenschaftlern unbestritten, dass ein industrieller Aufholprozess auch möglich ist, ohne fossile Brennstoffe stark auszuweiten. Dazu braucht es aber echte Technologiesprünge – für die manchen offenbar der Mut fehlt.

Was ist Ihr Fazit der bisherigen Klimaschutzabkommen?

Dass eine Transformation im Konsens nicht gelingen kann. Stellen Sie sich die beteiligten Staaten als 200 Drogenabhängige vor, die beschließen, dass sie endlich clean werden wollen. Wenn die alle Entscheidungen im Konsens treffen sollen, kommt nicht viel heraus. Denn es wird immer irgendwen geben, dem der Entzug doch zu anstrengend ist.

Was schlagen Sie vor?

Die ambitionierten Staaten müssen vorangehen. Bundeskanzler Scholz hat das mit dem Vorschlag für einen Klimaclub innerhalb der G7 versucht. Aber er hat sich die falschen Partner ausgesucht. Zu den G7 gehören mit den USA und Japan Staaten, die kein Interesse haben, sich verbindlich zu verpflichten. Aber mit Frankreich, Großbritannien und Kanada könnte es klappen. Zudem sollten Inselstaaten dabei sein, die durch den steigenden Meeresspiegel besonders bedroht sind. Wir brauchen die Verbindung von wirtschaftlicher Macht und Betroffenheit.

Das Montreal-Protokoll zum Verbot von FCKW gilt als positives Beispiel für internationale Umweltschutzabkommen. Was kann man daraus lernen?

Das war tatsächlich der bisher erfolgreichste Umweltvertrag – der am Ende die Ozonschicht gerettet hat. Das Montreal-Protokoll zeigt, dass prognostizierte Katastrophen nicht eintreten müssen, wenn man rechtzeitig gegensteuert – und Mehrheitsentscheidungen zulässt.

Aber ist der Kampf gegen den Klimawandel nicht eine viel größere Aufgabe als das FCKW-Verbot? Immerhin berührt er praktisch alle Lebensbereiche.

Das stimmt. Zudem dauert es beim Klimaschutz länger, bis sich Erfolge einstellen, von denen dann vor allem künftige Generationen profitieren. Aber die nötigen Technologien sind vorhanden. Wir müssen sie nur konsequent einsetzen – etwa indem wir erneuerbare Energien stärker ausbauen. Das größte Problem ist die Landwirtschaft, die ein Drittel der Emissionen erzeugt.

Sollten sich die Aktivisten der Letzten Generation eher an Traktoren kleben?

Ich kann deren Motive gut verstehen. Statt andere Menschen im Alltag zu behindern, sollten sich die Proteste aber stärker auf große fossile Unternehmen konzentrieren. Denn die sind vor allem dafür verantwortlich, dass es so langsam vorangeht.

Ihre Organisation Client Earth will den Klimaschutz mit juristischen Mitteln voranbringen. Wo setzen Sie an?

Wir unterstützen Menschen juristisch, die von der Politik konsequentes Handeln verlangen – etwa indem sie die Einhaltung vereinbarter Klimaziele einklagen. Ein weiterer vielversprechender Ansatz ist, gegen Unternehmen vorzugehen, die sich dem Klimaschutz verweigern. Das Recht ist das schärfste Schwert, das wir im Klimaschutz haben.

Welche Ansatzpunkte bietet hier die letzte Klimakonferenz in Scharm el-Scheich?

Zunächst ist es enttäuschend, dass keine schärferen Emissionsziele festgelegt wurden. Es hat aber die Einigung auf einen Fonds zum Ausgleich von Schäden durch den Klimawandel gegeben. Das ermöglicht geschädigten Ländern Schadenersatzklagen gegen große Treibhausgasemittenten. Und das wird sich wiederum auf die Klimapolitik der betreffenden Staaten auswirken, weil sie sehen, dass es sehr teuer werden kann, wenn sie ihre Emissionen nicht stärker senken. Vielen Politikern ist das noch gar nicht richtig bewusst.

Jurist, Politiker, Klimaexperte

Position
  Hermann Ott (Jahrgang 1961) leitet das deutsche Büro der internationalen Umweltrechtsorganisation Client Earth und lehrt als Honorarprofessor an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Von 1994 bis 2009 und von 2014 bis 2018 arbeitete er für das Wuppertal Institut – unter anderem als Leiter der Abteilung Klimapolitik und des Berliner Büros. Zuvor war er Rechtsanwalt für Umwelt- und Strafsachen.

Politik
Als Mitglied des Bundestags war Ott von 2009 bis 2013 Klimapolitischer Sprecher für Bündnis 90/Die Grünen sowie Obmann der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“. 2001 bis 2007 war er Aufsichtsrat bei Greenpeace Deutschland.

Konferenzen
 Ott kennt die internationale Umweltdiplomatie aus eigener Erfahrung. Er war bei den Verhandlungen zum Montreal-Protokoll und zum Kyoto-Protokoll dabei.