Das 1 Word Trade Center prägt heute die Skyline von New York. Foto: imago images//kasto

Die Anschläge vom 11. September 2001 waren eine Zäsur – nicht nur in der Geschichte. Auch im Leben der Menschen hat sich in den vergangenen Jahren vieles verändert.

Stuttgart - Die Anschläge vom 11. September 2001 haben sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Doch auch auch heute noch sind die Auswirkungen, die dieser Tag mit sich brachte, im Alltag spürbar. Wir haben die wichtigsten Veränderungen der vergangenen 20 Jahre, die auf dieses historische Ereignis zurückgehen, zusammengetragen.

Das Ende vom „Ende der Geschichte“

Im Rückblick von 20 Jahren wird deutlich, dass die Anschläge kein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte sind, sondern bis heute nachwirken, und dies eben nicht nur auf einer politischen Ebene, sondern auch im kollektiven Bewusstsein der Menschen. Das Gefühl, das damals abgespeichert wurde, lässt sich auf die Formel bringen: „Wenn etwas so Unwahrscheinliches möglich ist, dann muss man künftig mit allem rechnen.“ Die damit einhergehende Verunsicherung war umso stärker, weil die 1990er Jahre von Optimismus getragen worden waren. Nach dem Fall der Berliner Mauer sprachen manche vom „Ende der Geschichte“: Der Westen hatte gesiegt – und mit ihm Demokratie und Globalisierung. Ein Trugschluss.

Flugreisen nur noch mit Plastiktütchen

Die Wasserflasche noch schnell vor der Sicherheitskontrolle leer trinken, den Plastikbeutel schon mal hervorkramen und die noch irgendwo in der Tasche befindlichen Lippencreme auch noch schnell hineinquetschen. All das wäre vor dem 11. September 2001 unvorstellbar gewesen.

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Alles, was annähernd den Aggregatszustand flüssig aufweist, muss heutzutage an Bord eines Flugzeuges in einem durchsichtigen Ein-Liter-Beutel mit Zipp-Verschluss transportiert werden. Das soll dazu dienen, die Gefahren von Flüssigsprengstoffen an Bord von Flugzeugen zu bannen. Eine Regel, die die EU 2006 erlassen hat. Britische Behörden hatten kurz zuvor gerade noch einen Anschlag mit Flüssigsprengstoff verhindert. Seitdem gilt: Maximal einen Liter an Flüssigkeiten darf jeder Passagier mitführen, jedes einzelne Behältnis darf nicht mehr als 100 Milliliter fassen. Der wiederverschließbare Beutel soll die Kontrolle einfacher machen.

Auf dem Hamburger Flughafen werden 2010 außerdem die bundesweit ersten Körperscanner in Betrieb genommen. Die beiden sogenannten Nacktscanner sind heute bei vielen Sicherheitskontrollen gang und gäbe.

Lächeln verboten

Für das Foto auf Pass und Personalausweis ist seit 2010 ein möglichst grimmiger Gesichtsausdruck gefordert. Wer ein solches Dokument beantragt, muss so genannte biometrische Passbilder vorlegen: Der Kopf darf nicht gedreht oder geneigt sein, der Gesichtsausdruck soll möglichst neutral sein.

Das Cockpit ist eine Festung

Auch die Arbeit von Flugzeugpiloten hat sich verändert. Die Tür zum Cockpit muss nun während des gesamten Fluges verschlossen sein. Nur durch Eingabe eines Zahlencodes können Crewmitglieder anklopfen, die Piloten sehen über eine Kamera, wer hineinmöchte. Mit dramatischen Folgen: Co-Pilot Andreas L., der im März 2016 eine Germanwings Maschine zum Absturz brachte, hatte den Flugkapitän ausgesperrt, der kurz auf die Toilette gegangen war.

Freiheitsrechte weiter eingeschränkt

Nach den Terroranschlägen haben die 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) ihr Versprechen gebrochen, Freiheitsrechte nur zeitlich begrenzt und nur gezielt zur Bekämpfung der terroristischen Bedrohung einzuschränken. Dies ist das Ergebnis einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), die dem „Tagesspiegel“ vorliegt.

„In demokratischen Staaten bleiben viele der ursprünglich zeitlich befristeten, weil massiven Eingriffe in die Privatsphäre, etwa bei der Überwachung der Telekommunikation, der Speicherung von Telekommunikationsdaten oder der Erfassung biometrischer Merkmale, in Kraft und wurden durch die Aufnahme in dauerhaftes Recht normalisiert“, so Studienautor Josef Braml. Die Untersuchung zeige, „dass Nine-Eleven im Resultat auch ein Anschlag auf bürgerliche Freiheiten gewesen ist und zwar weltweit“, sagt Michael Bröning, Leiter des New Yorker FES-Büros, das die Studie in Auftrag gab.

Der Umgang untereinander

Dauerhaft verändert haben die Anschläge vom 11. September 2001 die Haltung gegenüber Muslimen. „Die Angst vor dem Anderen, vor dem Fremden nahm danach erst einmal deutlich zu“, sagt der Islamwissenschaftler Stefan Weidner.

Mittlerweile stellt Weidner in Deutschland allerdings wieder eine Normalisierung fest. Einen günstigen Effekt habe der Arabische Frühling vor zehn Jahren gehabt, weil man da gesehen habe, dass die Araber nicht gleichzusetzen sind mit ihren despotischen Regimen und einem radikalen Islam, so der Experte. „Danach gab es die Solidarität in der Flüchtlingskrise. Heute sind wir viel besser über die islamische Welt informiert als früher und haben dadurch auch eine politisch offenere und interessantere Diskussion – man denke an die derzeitige Kolonialismus-Debatte.“

Geschichte live erlebt

9/11 war das erste weltgeschichtliche Ereignis, das quasi in Echtzeit übertragen wurde. Die Terroristen steuerten das zweite Flugzeug um 9:03 Uhr Ortszeit in den Südturm, 17 Minuten nachdem das erste in den Nordturm gerast war. Beim zweiten Einschlag sah damit die ganze Welt zu.

Die Anschläge führten zu einer „Grunderschütterung, die bis heute anhält und sowas wie eine kollektive Traumatisierung bewirkt hat“, sagt der Stressforscher Mazda Adli. Um nachhaltig traumatisiert zu werden, muss man ein Ereignis nicht unbedingt persönlich miterleben – auch eine mediale Vermittlung kann ausreichen, wenn das Ereignis Menschen betrifft, mit denen man sich identifiziert. Selbst wer noch nie in New York war, glaubte den Ort zu kennen, weil er in Filmen ständig präsent war. Diese gefühlte Nähe führte dazu, dass man bei der Zerstörung der Türme auch in weiter unwillkürlich dachte: „Das kann mir auch passieren.“