Arkadij Khaet, Regisseur des preisgekrönten Kurzfilms „Masel Tov Cocktail“, der im Landtag gezeigt wurde. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Wie sieht „Junges Jüdisches Leben im Land“ aus? Eine Veranstaltung im Landtag in Stuttgart zu diesem Thema hinterließ starke Eindrücke. Landtagspräsidentin Muhterem Aras versicherte der jüdischen Gemeinde ihre Solidarität und versprach einen Ausbau der Israel-Kontakte.

Unter dem Eindruck des Terrorangriffs der Hamas vom 7. Oktober und der Bedrohung jüdischen Lebens hat Landtagspräsidentin Muhterem Aras angekündigt, die Zusammenarbeit mit Israel auszubauen. Bei einer Veranstaltung im Rahmen der jüdischen Kulturwochen mit mehreren Hundert Teilnehmern, darunter vielen Schülern, sagte sie am Dienstagabend im Landtag, im Gespräch seien eine Beteiligung am geplanten Deutsch-Israelischen Jugendwerk und der Ausbau von Städtepartnerschaften. Auf Grundlage des existierenden Staatsvertrags werde zudem in einer Woche in Heidelberg das Jüdische Bildungszentrum B-W Akademie gegründet. „Damit wird in Baden-Württemberg ein weiterer Ort geschaffen, um Austausch und Begegnung zu fördern“, sagte Aras.

Trauer über den Tod eines Brückenbauers

Diesem Ziel dient auch das seit 35 Jahren bestehende Stipendienprogramm des Landtags, das es Nachwuchswissenschaftlern aus Baden-Württemberg erlaubt, in Israel zu studieren und umgekehrt israelischen Studierenden einen Aufenthalt in Baden-Württemberg ermöglicht. Aufgesetzt wurde es in Zusammenhang mit dem 50. Jahrestag der Reichspogromnacht 1988. Aktuell ist der Austausch kriegsbedingt unterbrochen.

Aras betrauerte den Tod von Ofir Libstein, dem Landrat der israelischen Partnerregion des Landkreises Karlsruhe, einem wichtigen Förderer von Begegnungen zwischen Israel und Baden-Württemberg; er wurde bei dem Terrorangriff am 7. Oktober ermordet. Die israelische Generalkonsulin Talya Lador-Fresher sprach ebenfalls von einem großen Verlust: „Diese große Lücke zu schließen wird schwer.“

Die israelische Generalkonsulin Talya Lador-Fresher vor einem Porträt des am 7. Oktober ermordeten Ofir Libstein, Landrat der israelischen Partnerregion des Landkreises Karlsruhe. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Der Abend im Landtag stand unter dem Motto „Junges Jüdisches Leben im Land“. Es ging um die junge Perspektive – in Person von Hanna Veiler, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion in Deutschland, Sami Wedde, Vertreter des Projekts „Meet a Jew“, der nichtjüdischen Stipendiatin Sarah Gerdiken und Arkadij Khaet, Regisseur des preisgekrönten Kurzfilms „Masel Tov Cocktail“. Darin sieht sich ein junger Jude, dessen Eltern als sogenannte Kontingentflüchtlinge in den 1990erJahren aus der Sowjetunion nach Deutschland kamen, mit dem vielen Unverarbeiteten und Klischeebehafteten in der deutschen Mehrheitsgesellschaft konfrontiert, dass es am Ende so scheint, als habe er ein Problem, und nicht seine Umgebung.

„Wir sprechen meist nur über totes jüdisches Leben“

Einfühlend moderiert von Mark Kleber (SWR), entspann sich ein intensives Gespräch auf dem Podium, das bittere Einsichten brachte (Hanna Veiler: „Unsere Generation sieht sich wieder vor die Frage gestellt, ob es noch eine Zukunft für sie hier gibt“). Dazu nüchterne Befunde (Sami Wedde: „Ich bin damit aufgewachsen, dass ein Polizeiauto vor der Synagoge steht, wenn ich dort beten gehe“) und aufrüttelnde Feststellungen (Arkadij Khaet: „Wir sprechen meist nur über totes jüdisches Leben.“)

Deutlich wurde, dass es jüdische Leben nicht im Singular gibt, so wenig wie man von der einen jüdischen Kultur sprechen kann. Die Realität besteht vielmehr aus Pluralität. Einig sind sich die drei jungen Juden, dass es in ihrem Leben nun ein Vorher und ein Danach gibt. In den Worten von Arkadij Khaet: „Der 7. Oktober war ein existenzielles Ereignis, das die jüdische Selbstbestimmtheit neu definieren wird.“ Mit dem Danach ist ein Trotzdem verbunden, wie Hanna Veiler sagt, und ein Sich-Mut-zusprechen: „Ich lasse mich nicht einschüchtern. Wir sind keine Opfer, sondern Bürger dieses Landes.“