Auf ihrem unterirdischen Weg nach Obertürkheim kämpfen die Mineure mit Wassereintritten und wenig tragfähigem Gestein. Bei einem Brückenbauwerk muss die Bahn nun umplanen.
Stuttgart - Die Bauarbeiten der Bahn beim Projekt Stuttgart 21 sind im Abschnitt nach Obertürkheim erneut zum Stillstand gekommen. Der unterirdische Ast, der vom Tiefbahnhof kommend nach der Unterquerung des Neckars, des Wirtemberg-Gymnasiums, diverser Häuser und eines Sportplatzes auf die Bestandsstrecke Richtung Esslingen einbiegt, ist im Terminplan für das Schienenprojekt mit dem Vermerk „voraussichtlich Veränderung/Risiko“ markiert. Die Mineure kommen hier seit Jahren langsamer voran als geplant; sie kämpften gegen starken Wasserzutritt und lockeres Gestein. Der Aufwand zur Sicherung ist hoch, der Baufortschritt misst sich an manchen Tagen in Zentimetern.
Je Röhre rund 350 Meter bergmännischer Tunnelbau liegen noch vor den Experten. Sie sind zur Zwangspause genötigt, weil den beiden Röhren nun die Gründungspfähle von vier Pfeilern der Bruckwiesenbrücke im Weg stehen. Die vierspurige Plattenbalkenbrücke in Spannbetonbauweise stammt aus dem Jahr 1988, ist 158 Meter lang und trägt vier Fahrspuren. Ihre Pfeiler stehen auf 48 jeweils 15 Meter langen Bohrpfählen. Jeder hat einen Durchmesser von 1,50 Metern. Von den Tunneln bis zur Geländeoberkante sind es rund zehn Meter. Die Gründungspfähle würden also mitten in die Tunnel ragen. „Zum Gewicht der Konstruktion können wir leider keine Angaben machen“, heißt es im Tiefbauamt. Es ist jedenfalls gewaltig – und es kann nicht so abgefangen werden, wie es sich die Bahn vorgestellt hat.
Geologie zwingt zur Umplanung
Geplant war das Düsenstrahlverfahren, bei dem aus dem Tunnel heraus ein Zement-Boden-Gemisch erstellt werde, so ein Sprecher der S-21-Projektgesellschaft. Auf diese Weise wäre das Erdreich um die Pfeiler verfestigt worden. Dann hätten die Pfeiler teils abgebrochen und die Reststücke in die Außenschale des Tunnels einbetoniert werden können. Soweit der Plan. Die Wirklichkeit sieht so aus: „Es werden aufgrund der geologischen Randbedingungen Bohrpfahlarbeiten unter der Brücke notwendig, die zur Absicherung der bestehenden Brückenpfeiler mit den erforderlichen Hilfsstützen die Bestandsbrücke sichern“, heißt es in einer Ausschreibung der Bahn AG. Neben den bestehenden Pfeilern werden Hilfspfähle eingebracht, die sich nicht auf den Tunnel, sondern auf den unter dem Tunnel liegenden Fels abstützen sollen.
Damit nichts verrutscht, werden die Hilfspfähle an der Erdoberfläche über einen Stahlbetonbalken miteinander verbunden. Die Bruckwiesenbrücke muss auf diese Weise auf einer Länge von 85 Metern abgefangen werden. Das Verfahren habe sich nach Variantenuntersuchungen und der Empfehlung des tunnelbautechnischen Gutachters in den schwierigen geologischen Verhältnissen als „einzig technische Möglichkeit herausgestellt“. Wer kann so etwas bauen? Die Bahn fragte bei Spezialtiefbauunternehmen nach. Im Ergebnis sei nur ein Unternehmen „in der Lage, die Bauleistungen unter den gegebenen Anforderungen auszuführen“.
Versorgung der Baustelle verändert
Ein Angebot von Wayss & Freitag aus Düsseldorf lag vor, Anfang Juni gab die Bahn dem Unternehmen den Zuschlag, die vorbereitenden Arbeiten liefen, so ein Projektsprecher. Zu Vertragsinhalten wie den Kosten äußere man sich grundsätzlich nicht. Die Bauzeit für die Hilfsstützen ist auf ein halbes Jahr veranschlag. Die Brücke müsse dazu nicht gesperrt werden. Dort, wo die Mineure wieder Tageslicht sehen werden, laufen die Arbeiten bereits.
Anders als ursprünglich geplant, sollen die Tunnel nicht vom sogenannten Zwischenangriff in Wangen aus betoniert werden, sondern von Obertürkheim aus, um die Inbetriebnahme im Jahr 2025 sicherstellen zu können, sagte im August 2020 das Eisenbahn-Bundesamt. Mit dem Einbau der Innenschale sollen die Röhren dann dauerhaft dicht sein.