Die Zuschauerresonanz könnte besser sein: Die Skilangläufer konnten allerdings nicht klagen, die Unterstützung der Fans war durchaus nicht schlecht. Foto:  

Die Publikumsresonanz in und um Pyeongchang lässt zwar zu wünschen übrig, aber es ist alles auch eine Frage des Blickwinkels. Offiziell sind bisher 84,3 Prozent aller Karten verkauft.

Pyeongchang - In den sozialen Netzwerken wird eifrig geschimpft und gezetert, gejammert und geklagt. Die Ferndiagnose: Olympia leidet unter akuter Stimmungsarmut und dem Leere-Tribünen-Syndrom. Tatsächlich könnte es den Winterspielen in Pyeongchang, was die Publikumsresonanz betrifft, etwas besser gehen. Aber wie immer ist zu beachten: Wer leidet, der neigt zur Übertreibung. In diesem Fall gilt das für alle Beteiligten: die Organisatoren, aber auch deren Kritiker.

„Tote Hose“, „null Zuschauer“, „leere Tribünen“ – diesen Tenor haben derzeit viele Kommentare im Netz. Fraglos zielen die Schreiber damit in die richtige Richtung, so treffsicher wie Biathletin Laura Dahlmeier sind sie allerdings nicht. Weil TV-Bilder und Youtube-Videos zwar einen Eindruck vermitteln, aber trotzdem nur einen Ausschnitt zeigen. Klar: Beim Biathlon gibt es einen Riesenunterschied zwischen den olympischen Wettkämpfen in Südkorea und Weltcuprennen in Ruhpolding oder Antholz. Aber beim Skispringen der Frauen waren noch um Mitternacht bei eiskalten Temperaturen mehr Zuschauer im Stadion als bei der WM 2017 in Lahti, das bekanntlich in der Wintersportnation Finnland liegt. Und beim Curling, Eisschnelllauf oder (vor allem) Skeleton sind die Hallen in Pyeongchang bestens gefüllt. „Man muss Disziplin für Disziplin unterscheiden“, sagt Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, „im Eisbereich und bei Wettbewerben am Vormittag, zum Beispiel beim Snowboarden, sieht es gut aus.“

An den Temperaturen allein kann es nicht liegen

Auch das Organisationskomitee wehrt sich gegen pauschale Kritik. Und macht eine eigene Rechnung auf. Bisher hätten 84,3 Prozent der 1,17 Millionen Eintrittskarten einen Abnehmer gefunden, so Sprecher Sung Baik-you, merkt aber zugleich an, dass auch in den nächsten Tagen wegen des kalten und windigen Wetters vermutlich einige Plätze frei bleiben werden.

Als Erklärung für die oft nicht einmal zur Hälfte besetzten Tribünen reichen die Temperaturen allerdings nicht aus. Eher scheint es, als neige auch das OK in Pyeongchang zum Schönrechnen von Zuschauerzahlen – ein in Städten, die Olympische Spiele ausrichten, weitverbreitetes Talent. Wenn Sung Baik-you auf den sichtbaren Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit angesprochen wird, dann antwortet er: „Wenn Plätze im Fernsehen als leer wahrgenommen werden, bedeutet das nicht, dass die Zuschauer nicht da gewesen sind.“

Die Athleten sind nicht überrascht

Die Athleten kennen die olympischen Sportstätten nicht nur aus dem TV, sie sind vor Ort. Und nicht überrascht. Viele haben vor der Eröffnungsfeier ihre Enttäuschung darüber artikuliert, dass die Winterspiele dreimal nacheinander in Retortenskiorten stattfinden – in Sotschi (2014), Pyeongchang (2018) und Peking (2022). Danach aber haben sie sich voll auf ihre Wettkämpfe fokussiert. „Wir wussten ja, was uns hier erwartet“, sagte Skisprung-Olympiasieger Andreas Wellinger. Und Biathlon-Superstar Laura Dahlmeier erklärte: „Bei einem Olympiarennen erhofft man sich natürlich schon ein paar mehr Zuschauer, letztendlich muss der Athlet aber doch selber laufen, und mir ist das hier sogar lieber, als wenn 50 000 Menschen schreien.“

Deutlicher geäußert haben sich die Trainer des goldigen Duos. Der Skisprung-Chefcoach Werner Schuster sprach von einer Atmosphäre wie beim „Deutschlandpokal“, und der für die Biathletinnen zuständige Kollege Gerald Hönig meinte: „Im Vergleich zum Weltcup ist das hier ein Trauerspiel. Die Athleten haben bei Olympischen Spielen etwas Besseres verdient.“

Stellt sich nur die Frage, ob der Patient Olympia noch zu retten ist in den verbleibenden eineinhalb Wochen. Sagen wir es so: Die Hoffnung auf vollständige Genesung ist nicht allzu groß, auch wenn die Organisatoren davon ausgehen, ihr Ziel – 90 Prozent verkaufte Tickets – noch zu erreichen. Allerdings werden sie im Gegenzug womöglich einigen Zuschauern den Preis erstatten müssen. Denn Wintersportfans, denen es zeitlich nicht möglich ist, verlegte Rennen (wie den Abfahrtslauf der Männer oder den Riesenslalom der Frauen) zu besuchen, können ihr Geld zurückverlangen. Das ist fair, wird den Eindruck (halb) leerer Tribünen aber womöglich noch verstärken. Und den Diagnostikern in der Ferne neuen Stoff liefern.